Scheibenwischerwerbung als unzumutbare Belästigung?

Wirtschaft und Gewerbe
23.04.20101638 Mal gelesen
1. Als unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 UWG 2008 versteht man zunächst eine geschäftliche Handlung eines Unternehmers, die bereits wegen der Art und Weise des Herantretens an andere Marktteilnehmer als eine Beeinträchtigung ihrer privaten oder beruflichen Sphäre empfunden wird.
 
2. Die Werbeform der Scheibenwischerwerbung erfreut sich seit Jahren einer großen Beliebtheit und dürfte jedem schon einmal als PKW-Besitzer oder Zweiradfahrer begegnet sein. In diesen Flyern wird insbesondere auf besondere Veranstaltungen oder aber auf die Superchance hingewiesen, seinen PKW zum Bestpreis zu verkaufen.
 
3. Bei dieser Art der Werbung stellt sich allerdings die Frage, ob diese nicht, insbesondere nach der Reform des UWG im Jahr 2008, als unzumutbar einzustufen ist, mit der Folge, dass dieses Verhalten einen Wettbewerbsverstoß und damit entweder durch Mitbewerber oder einer qualifizierten Einrichtung unterbunden werden kann.
 
4. Ob allerdings diese Art von Werbung überhaupt eine unzumutbare Belästigung im Sinne des UWG darstellt, ist zumindest schon früher in Rechtssprechung und Literatur umstritten gewesen.
 
So hat sich beispielsweise das Oberlandesgericht Hamm in einem Urteil vom 27.09.1990 unter dem Aktenzeichen 4 U 179/90 mit einem solchen Fall auseinandergesetzt. Dabei stellte das Gericht in Bezug auf die alte Rechtslage fest, dass die Befestigung von Werbematerial an Kraftfahrzeugen nicht ohne Weiteres wettbewerbswidrig sei. Zunächst führte das Gericht aus, dass ein Verhalten im Wettbewerb dann als unlauter gelte, wenn die Werbemaßnahme von der Allgemeinheit missbilligt und für untragbar angesehen werde. Denn nach den einschlägigen Vorschriften soll die Allgemeinheit vor Auswüchsen des Wettbewerbs bewahrt werden. Dabei sei eine Abwägung zwischen den Interessen des Verbrauchers vor dem Eindringen von Werbung in seinen Privatbereich und den Interessen der werbetreibenden Wirtschaft vorzunehmen, wobei das Gericht im konkreten Fall zunächst der Wirtschaft den Vorzug gab und damit die Scheibenwischerwerbung als zulässig ansah. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass auch im Vergleich mit der Rechtsprechung zum Ansprechen von Kunden oder der Telefonwerbung eine andere Entscheidung nicht zutreffen sei, da der Verbraucher in seiner Anonymität verbleibe und so in seiner Entscheidungsfreiheit nicht beeinträchtigt werde. Zwar lege diese Maßnahme dem Verbraucher das Entsorgungsproblem auf, weil der Scheibenwischer seines Kraftfahrzeuges als Briefkasten zweckentfremdet werde. Da aber dem Verbraucher keine solchen zusätzlichen Handlungen auferlegt werden, die er nicht nebenbei im Rahmen seines ohnehin gegebenen Tagesablaufs miterledigen könne, werde die Werbung über kurz oder lang im Papierkorb landen. Der Entscheidung des Gerichts stehe es auch nicht entgegen, dass der Kraftfahrzeugbesitzer Werbematerialien generell nicht hinter die Scheibenwischerblätter geklemmt haben möchten, denn hierfür spreche jedenfalls nicht die allgemeine Lebenserfahrung.
 
5. Allerdings gilt es bei Heranziehung dieser Entscheidung zu beachten, dass diese Entscheidung vor 20 Jahren gefällt worden ist. In dieser Zeit ist nicht nur viel passiert, sondern es fand auch ein erheblicher Wertewandel statt. Insbesondere wurde auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb mehrmals erheblich und einschneidend verändert, was nicht zuletzt auch Ausfluss des Europarechts gewesen ist. Somit stellt sich also die Frage, wie sich die heutige Rechtslage darstellt, auch weil sich die Anforderungen im Rahmen des § 7 UWG nach der Reform 2008 noch weiter verschärft haben.
 
a) So könnte die Scheibenwischerwerbung zunächst gegen § 7 Abs. 1 UWG verstoßen, der da heißt: "Eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht.".
 
aa) Aus dem Vorstehenden ergibt sich also, dass es für die Bewertung der Zulässigkeit der Werbeform darauf ankommt, ob die Werbung erkennbar nicht gewünscht wurde.
 
(a) Da es zumeist zwischen dem Verteiler der Werbung und dem Kfz-Besitzer zu keinem persönlichen Aufeinandertreffen kommt, müsste der entgegenstehende Wille aufgrund der äußeren Umstände für den Werbenden erkennbar sein. Aber anhand welcher Umstände soll dieser nun eine solche Bewertung vornehmen. Es kommt praktisch nicht vor, dass jemand an seinem KFZ oder Zweirad einen Aufkleber angebracht hat, auf dem "Bitte keine Werbung" steht, wie es bei den Briefkästen üblich geworden ist, um seinen entgegenstehenden Willen gegen den Einwurf von Werbematerialien zum Ausdruck zu bringen.
 
Allerdings sollte man davon ausgehen, dass überall da, wo man nicht mit dem Empfang von Werbematerialien zu rechnen braucht, grundsätzlich von einem entgegenstehenden Willen ausgehen kann, weil ansonsten einem das Werbematerial quasi aufgedrängt wird, (so jedenfalls im Ergebnis auch Köhler/Bornkamm-Kommentar zum UWG, 28. Auflage, § 7 Rn. 37). Denn vergleicht man diese Situation beispielsweise mit der Ansicht bei der Verteilung von Werbematerialien gegenüber Passanten, so wird die Zulässigkeit dieser Werbemaßnahme damit begründet, dass es ja schließlich dem Passanten freistehe, ob er das angebotene Werbematerial entgegennimmt oder nach der Entgegennahme wegwirft, falls es nicht auf sein Interesse stößt. Aber gerade da besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Fallkonstellationen, denn der Passant kann sich hier entscheiden, ob er die Werbematerialien annehmen will oder nicht, also in der gegebenen Situation einen ausdrücklichen Willen bilden. Insofern besteht schon im Ansatz eine andere Konstellation, denn der PKW-Besitzer kann mangels Anwesenheit über Annahme oder Ablehnung nicht selbst entscheiden.
 
Zudem dient der Scheibenwischer gerade nicht dazu, Werbematerialien daran zu befestigen, sodass dieser als "Briefkasten" zweckentfremdet wird. Da die Vergangenheit gezeigt hat, dass die Werbeindustrie mit viel Kreativität neue Konzepte umsetzt, ist es auch nicht so fernliegend, dass der eine oder andere weitere Ideen entwickelt, wie und wo Werbematerialien noch befestigt werden können. Meines Erachtens muss man bei der Bewertung, ob der Werbende davon auszugehen hat, dass die Verteilung dieser Werbung auf diese spezielle Art unerwünscht ist, danach beurteilen, ob der Adressat der Werbung nicht nur damit rechnen muss, sondern vielmehr die Empfangsvorrichtung hierfür geeignet und extra vorgesehen ist. So ist der Briefkasten für den Empfang von Post, das Fax zum Empfang von Schreiben, eine E-Mail-Adresse zum Empfang von E-Mails und eben ein Scheibenwischer dafür da, dass bei Regen der Fahrer freie Sicht hat.
 
Auch kann das vom Oberlandesgericht Hamm verwendete Argument, dass es durchaus sein kann, dass einige diese Art der Werbung auch wollen, nicht dazu führen, dass man diese Ansicht generalisiert und quasi vom Willen einiger wenige auf den Willen aller schließt.
 
Deshalb wird man nach den vorstehenden Ausführungen meiner Ansicht nach davon ausgehen müssen, dass generell ein entgegenstehender Wille bei Scheibenwischerwerbung besteht.
 
(b) Für die Verwirklichung des Tatbestandes wird weiter vorausgesetzt, dass diese Werbemethode den betroffenen Adressaten nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Dies wäre dann der Fall, wenn sich die Werbemaßnahme den Adressaten nicht und nur geringfügig auf seine Interessen auswirken würde. Davon ist allerdings vor dem Hintergrund, dass dieser sich erst einen Abfalleimer suchen muss, nicht auszugehen. Denn anders als bei den Einwürfen in Hausbriefkästen hat der Empfänger nicht die Möglichkeit, die in seinem Haushalt und/oder Umfeld bestehenden Entsorgungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Dies erscheint vor dem Hintergrund, das im täglichen Leben sowie Abfälle von Verpackungen e.t.c. anfallen, weniger die Interessen zu berühren, als die Situation, in der der PKW-Besitzer in der Öffentlichkeit versuchen muss, die Werbung zu entsorgen. Darüber hinaus kann es passieren, dass diese Werbematerialien aufgrund der Witterungsverhältnisse schwierig zu entfernen sind der aber nicht nur auf der Scheibe Rückstände hinterlassen, sondern auch möglicherweise die Wischerblätter beschädigen. Allein diese abstrakten Gefahren zeigen, dass sehr wohl das Interesse des Adressaten beeinträchtigt wird.
 
Im Ergebnis ist vom Vorliegen dieses Tatbestandes auszugehen.
 
bb) Aber allein die Verwirklichung eines solchen Tatbestands reicht für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes noch nicht aus. Vielmehr muss die geschäftliche Handlung die sogenannte Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG übersteigen, wonach entweder die Interessen nach § 3 Abs. 1 UWG oder aber die Fähigkeiten des Verbrauchers gemäß § 3 Abs. 2 UWG spürbar beeinträchtigt werden müssen. Wenn es sich um eine Maßnahme gegenüber dem Verbraucher handelt, müsste diese Handlung nicht der für den Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sein, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich aufgrund von Informationen zu entscheiden, spürbar beeinträchtigt werden und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
 
Dieses sogenannte Spürbarkeitskriterium wird allerdings in einem solch engen Zusammenhang mit dem wettbewerbsbezogenen Unlauterkeitsbegriff gebracht, dass dieses Kriterium zunehmend als entbehrlich gesehen wird. Nur als Korrektiv für sogenannte Bagatellfälle wird es noch herangezogen, wobei eine Änderung des bereits zuvor gefundenen Ergebnisses in den seltensten Fällen erfolgt. Auch hier ist kein solcher Grund dafür ersichtlich, eine Korrektur vorzunehmen. Selbst wenn man weiter an diesem Kriterium festhalten wollte, so kann die Entscheidung, ob nach § 3 Abs. 2 UWG die sogenannte Verbraucherschutzklausel erfüllt ist oder nicht, dahinstehen, da jedenfalls nach § 3 Abs. 1 UWG die Grenze überschritten ist.
 
b) Es könnte zudem der § 7 Abs. 2 UWG verwirklicht sein, wonach eine unzumutbare Belästigung dann anzunehmen ist, wenn bei Werbung unter Verwendung eines für den Fernabsatz geeigneten Mittels der kommerziellen Kommunikation, der Verbraucher hartnäckig angesprochen wird, obwohl er dies erkennbar nicht wünscht.
 
aa) Da ein solcher Flyer mit Werbematerialien wie Briefe oder Prospekte vergleichbar ist, stellt dieser zunächst ein für den Fernabsatz geeignetes Kommunikationsmittel dar, welches entsprechend der gesetzlichen Definition gemäß § 312 b Abs. 2 UWG ein Mittel sein muss, das zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrages zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden kann.
 
bb) Darüber hinaus müsste der Verbraucher allerdings hartnäckig angesprochen werden, obwohl er erkennbar dies nicht wünscht. Schon per Definition müsste also eine Widerholgung gegeben sein, also mindestens ein zweimaliges Ansprechen. Dies bedeutet aber im Ergebnis, dass das einmalige Vorfinden einer Werbematerialie am Scheibenwischer nicht zur Verwirklichung des Tatbestandes führt.
 
Nur in dem Fall, wo es zu einer Wiederholung gekommen ist, kann ein Unterlassungsanspruch auf diesen Tatbestand gestützt werden.
 
6. Daneben ist es aber auch denkbar, dass der einzelne Adressat des Werbematerials gegen den Werbenden hat. Freilich geschieht dies nicht auf Grundlage des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, sondern vollzieht sich dabei auf der rein normalen zivilrechtlichen Ebene. Insoweit ist hier §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art 1, 2 GG; 1004 BGB sowie § 1004, 903, 862 BGB in Betracht zu ziehen.
 
7. Das Vorstehende zeigt also, dass nach der hier vertretenen Meinung die Scheibenwischerwerbung sowohl nach dem Gesetz gegen unlautere Wettbewerbshandlungen als auch nach dem allgemeinen Zivilrecht Unterlassungsansprüche auslöst. Denn die Anforderungen haben sich in den vergangenen Jahren verschäft. Deshalb sollte der Einsatz der Scheibenwischerwerbung genau überlegt werden. Dies vorallem vor dem Hintergrund, dass der Erfolg lang nicht so groß sein dürfte, wie die bestehenden Risiken.
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