§ 522 Abs. 2 ZPO - Haben die Gerichte die Motive zu dieser Regelung nicht gelesen?

Wirtschaft und Gewerbe
31.03.20083026 Mal gelesen

Während der Bundesgerichtshof durch seine Beschlüsse vom 06.05.2004 und 08.09.2004 die Praxis der Nichtzulassungsbeschwerde erweitert hat, führt die Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO die Verwerfung der Berufung durch Beschluss immer mehr dazu, dass den Betroffenen die vom Rechtsstaatsprinzip getragene Rechtsmittelinstanz genommen wird.

 

Der Bundesgerichtshof hat mit seinen oben zitierten Entscheidungen (NJW 2004, Seite 3188 und NJW 2005, Seite 154), deutlich gemacht, dass er von der verfassungsrechtlich sehr fraglichen einengenden Vorgabe des Gesetzgebers sich entfernt, d.h. dass der BGH die Verengung der Zulassungsvoraussetzungen aufgehoben hat, sondern er hat gleichzeitig eine Korrektur vorgenommen, um den Interessen der beschwerten Partei im Sinne des Rechtsstaatsprinzips gerecht zu werden, vgl. Silke Scheuch NJW 3/2005 Seite 112 ff.

 

Die immer häufiger gewählte Form der Verwerfung der Berufung durch Beschluss führt jedoch zu einer erheblichen Verengung des grundgesetzlich gewährten Rechtsstaatsprinzips und des damit verbundenen -Instanzen-Zuges.

 

Besonders betroffen ist in solchen Fällen auch der Prozessbevollmächtigte. Erhält dieser nämlich einen gerichtlichen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2, Satz 1 ZPO zurückzuweisen, muss er seine Partei über die Alternativen ergänzender Darlegungen zum Berufungsangriff hinweisen, als auch darauf hinweisen, welche Bedeutung die Hinweise des Gerichtes haben und was die Rücknahme der Berufung bedeutet und welche Kostenfolgen dies hat. Er muss des Weiteren seine Partei darauf aufmerksam machen, dass dieser Beschluss des Gerichtes nicht anfechtbar ist. Als einen Haftungsfall wird sicherlich auch angesehen, wenn der Prozessbevollmächtigte auf den gerichtlichen Hinweis nicht reagiert bzw. auch nach entsprechenden Erörterungen mit der vertretenden Partei die Berufung nicht zurücknimmt. Der Schaden besteht dann in den Mehrkosten des Mandanten für das gerichtliche Verfahren.

 

In der Praxis wird daher vorgeschlagen, dass für denjenigen Fall, dass das Gericht über seine Absicht informiert und die Partei an der Berufung festhalten will, der Prozessbevollmächtigte gehalten ist, in der Sache neu vorzutragen. Im Mittelpunkt muss dabei die Frage stehen, inwieweit die Berufung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, d.h. das der Anspruch besteht oder die vorgetragene Rechtsverteidigung gilt. Dies bedeutet, dass der Prozessbevollmächtigte gehalten ist, die Einwände des Berufungsgerichtes noch einmal aufzugreifen mit seiner Berufungsbegründung in Verbindung zu bringen und darzulegen, warum auch diese Hinweise des Gerichtes nicht zu einer Verwerfung der Berufung durch Beschluss führen dürfen.

 

Wird zu schnell nach dem Instrument des § 522 Abs. 2 ZPO gegriffen, werden die dafür vom Gesetzgeber genannten Voraussetzungen " aufgeweicht"?

 

Setzt man sich mit § 522 Abs. 2 ZPO und der Zurückweisung der Berufung durch unanfechtbaren Beschluss auseinander, so ist zunächst die Frage zu stellen, welche Motive den Gesetzgeber geleitet haben, diese ZPO-Änderung aufzunehmen.

 

Man spricht von einer Zurückverweisung, wenn nach Überzeugung des Berufungsgerichtes die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht erfordert.

 

Ist es richtig, nach diesen Grundsätzen zu verfahren, wenn Sachverhalte zu entscheiden sind, die auf einer Anwendung des § 6 VOB/B beruhen? Die umfangreiche Rechtsprechung und Literatur, die immer noch nicht zu einer einheitlichen Rechtsanwendung geführt hat, ist sicherlich vielen bekannt.

 

Ist es richtig, eine Berufung zurückzuweisen durch Beschluss, wenn Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Werkvertragsprozess nicht beachtet werden, insbesondere der gesamte Problembereich der Symptomtheorie?

 

Ist es überhaupt richtig, § 522 Abs. 2 ZPO anzuwenden, wenn Sachverhalte zur Entscheidung anstehen, zu denen zwar durchaus schon sich eine höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt hat, die Literatur und die Instanzgerichte jedoch unterschiedlich entscheiden?

 

Der Gesetzgeber hatte den Grundgedanken, siehe Bundestagsdrucksache 13/6398, in Fällen offensichtlichen Unbegründetheit das Verfahren zu verkürzen. Es heißt, dass nur die Möglichkeit gegeben sein sollte, durch Beschluss nach materieller Prüfung, die nach dem Gesetzgeber auf eine einfachere Erledigung "offensichtlich unbegründete" Berufung zielt, eine Beschlussentscheidung möglich sein sollte, BT Drucksache 14/4722, Gummer/Heßler/Zöller § 522 ZPO RN 29 ff.

 

In seinen Motiven führt der Gesetzgeber auf, dass substanzlosen Berufungen im Interesse der klagenden Partei rasch Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung erzielt werden müsse. (aaO)

 

Sieht man die tatsächliche Entwicklung, so hat man den Eindruck, dass, wie Rechtsanwalt

Dr. Hirtz auf der Baurechtstagung der Arbeitsgemeinschaft Baurecht im Deutschen Anwaltsverein im März 2002 vorgetragen hat, dass die gesetzliche Konzeption, das Berufungsverfahren zu einem Verfahren reiner Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung umzuwandeln und daher Möglichkeiten von Tatsachenvortrag und Tatsachenfeststellungen in der Berufungsinstanz einzuschränken auch und gerade im Bauprozess total verfehlt ist. Es gäbe keinen Anlass, die Vorschriften zum Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz einschränken zu Lasten der vortragenden Partei auszulegen.

 

Wenn die Rechtsmittelebene ein Instrument zur Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung sein soll, dann kommt es darauf an, dass die Möglichkeit gegeben ist, Fehler der erstinstanzlichen Entscheidungen zu korrigieren.

 

In seinen Motiven begründet der Gesetzgeber die vorgenommene Rechtsänderung damit, dass in der früheren Gesetzgebung auch offensichtlich unbegründete Berufungen durchgeführt werden mussten. Damit sei die Zeit, die für verhandlungsbedürftige Fälle notwendig sei, verkürzt  und damit der Streit zu Lasten der in der ersten Instanz obsiegenden Partei in die Länge gezogen worden,  vgl. BT 14/4722, 96ff. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in seinen Motiven auch formuliert, dass der Weg der  Verwerfung der Berufung durch  Beschluss dann zu wählen sei, wenn nach der prognostischen Bewertung der Fälle von vornherein die Berufung keine Aussicht auf Erfolg haben wird, a.a.O..

  

Betrachtet man die Literatur, die unterschiedlichen Entscheidungen der Instanzgerichte zu

§ 6 VOB/B und insbesondere auch die verschiedensten Veröffentlichungen zur Geltendmachung von Bauverzögerungen und Leistungsänderungen sowie die verschiedensten Sachverständigenbeiträge hierzu, so ist, da es keine einheitliche theoretische Meinung und keine einheitliche Meinung in der Rechtsprechung gibt sowie die Frage, ob ausreichender Vortrag zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen gegeben ist oder nicht, höchst unterschiedlich zu beurteilen, ob die Berufung von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hat. Gerade bei Sachverhalten des § 6 VOB/B kommt es darauf an, inwieweit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH Rechnung getragen ist. Dies kann man nicht nur den Protokollen und Schriftsätzen entnommen werden, sondern hierzu bedarf es der mündlichen Auseinandersetzung mit den Parteien.

 

Dies wäre auch kein Fall, der von den Motiven des Gesetzgebers erfasst wäre. § 522 Abs2 ZPO soll nur auf diejenigen Fälle angewandt werden, die von vornherein aussichtslos sind. Mit dieser Formulierung scheint die gerichtliche Praxis jedoch Schwierigkeiten zu haben.

 

Was heißt von vornherein, was heißt nach prognostischer Prüfung von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben?

 

Nach Meinung des Autors geht es offensichtlich um den Begriff der Offenkundigkeit. Dieser Begriff ist z.B. aus der Rechtsprechung zur Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern bekannt. Sie ist bei Offenkundigkeit der rechtsmißbräuchlichen Inanspruchnahme zu versagen, vgl. BGHBauR 1999,634ff.

 

Im Vergaberecht taucht der Begriff im Zusammenhang mit Nachprüfungsverfahren nach GWB auf. Offensichtlichkeit   im Sinne des § 11O GWB ist dann gegeben, wenn ohne nähere Prüfung die Unwirksamkeit des Nachprüfungsantrages gleichsam auf den ersten Blick erkennbar ist, vgl. Ingenstau-Korbion § 110 GWB Rn6 ff mwN..

 

Genau das ist es, was der Gesetzgeber mit offensichtlich unbegründete Berufungsfälle gemeint hat.  Es geht darum, dass die Möglichkeit der Berufung nicht missbraucht werden soll und dass im Falle des Erkennens die Berufung durch Beschluß zu vewerfen ist. Offensichtlich unbegründete Berufungen, Berufungen die auf den ersten Blick ohne Nachprüfung erkennbar erfolglos sein werden, sollen durch Beschluss verworfen werden, nicht aber solche Fälle, die in der Beurteilung in der  Rechtsprechung und/oder in der Literatur oder auch vom Sachverhalt her nicht eindeutig sind.

Der Autor hofft, mit diesem Aufsatz zur Klarheit beizutragen und vor allem, dass frühzeitig die Erkenntnis durchdringt, dass mit der Einführung des § 522 a ZPO keine Verengung des Instanzenzuges des deutschen Rechtssystems gewollt war.