Pflicht zur Untersuchung und Rüge von mangelhafter Ware durch den Kaufmann gemäß § 377 HGB - Handelsrecht

Pflicht zur Untersuchung und Rüge von mangelhafter Ware durch den Kaufmann gemäß § 377 HGB - Handelsrecht
13.04.20164728 Mal gelesen
§ 377 HGB verpflichtet Kaufläute gekaufte Ware „unverzüglich“ zu überprüfen soweit dies „tunlich“ ist. Sonst gilt die Ware gem. § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt. Aber was bedeutet „unverzüglich“, „tunlich“ oder „Mangel“? Rechtsanwalt Dr. Rönsberg erläutert dies anhand von Urteilen zum Handelsrecht.

1. Handelsgeschäft für Verkäufer und Käufer

Gemäß § 377 HGB muss der Kauf "für beide Teile ein Handelsgeschäft" darstellen ("beiderseitiges Handelsgeschäft"). Gemäß § 343 HGB sind "Handelsgeschäfte" alle Geschäfte eines Kaufmanns, "die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören". Nach der widerleglichen gesetzlichen Vermutung des § 344 Abs. 1 HGB gelten im Zweifel alle von einem Kaufmann vorgenommen Geschäfte als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig. Haben also sowohl der Verkäufer als auch der Käufer Kaufmannseigenschaft im Sinne des HGB, so ist auch von einem beiderseitigen Handelsgeschäft und einer Anwendbarkeit des § 377 HGB auszugehen.

Ist im Einzelfall unklar, ob der Verkäufer oder der Käufer als "Kaufmann" im Sinne des HGB zu qualifizieren ist, so muss der Rechtsanwalt dies anhand der einschlägigen Rechtsprechung überprüfen. Dabei ist zwischen sechs verschiedenen Arten von Kaufmännern zu unterscheiden ("Istkaufmann", "Kannkaufmann"" Scheinkaufmann", "Fiktivkaufmann" u.a.). Von praktischer Relevanz ist dabei insbesondere der in § 1 HGB geregelte "Istkaufmann", denn vielen Handeltreibenden ist nicht klar dass sie nach den Kriterien der Rechtsprechung aufgrund von Art und Umfang ihrer Geschäftstätigkeit auch ohne Anmeldung zum Handelsregister o.ä. als Kaufläute im Sinne des HGB zu behandeln sind und dass für sie damit ggf. die Untersuchungs- und Rügepflicht des § 377 Abs. 1 HGB gilt.

2. "Mangel" der Ware (§ 377 Abs. 1 HGB)

377 HGB enthält keinen eigenen Mangelbegriff, sondern wird diesbezüglich durch das BGB ergänzt. Ob die verkaufte Ware einen "Mangel" im Sinne des § 377 HGB aufweist, richtet sich nach den §§ 434ff. BGB und der diesbezüglichen Rechtsprechung. So wird etwa auch eine Falschlieferung (sog. "Aliud-Lieferung") gem. § 434 Abs. 3 BGB der Lieferung einer mangelhaften Sache gleichgestellt. Dies gilt nach der Rechtsprechung u.U. selbst dann, wenn die gelieferte Sache in keiner Weise der vertraglich geschuldeten entspricht ("Pferd statt Rind"). Auch hier muss der Käufer ggf. zum Erhalt seiner Rechte nach den Regeln des § 377 HGB unverzüglich rügen. Gleiches gilt für die Zuweniglieferung (sog. "Makolieferung"). Auch diese wird gemäß § 343 Abs. 3 BGB einer Mangellieferung gleichgestellt. Anders ist dies bei der Zuviellieferung, solange der geschuldete Teil der Ware unproblematisch abtrennbar ist.

Nach der Erfahrung von Rechtsanwalt Dr. Rönsberg stellt sich in der Praxis oft die Frage, ob auch defekte, beschädigte oder anderweitig mangelhafte Verpackung der Ware einen Mangel im Sinne des § 377 HGB darstellt und unter die Untersuchungspflicht fällt. Hier differenziert die Rechtsprechung. Hängt von der Verpackung die Haltbarkeit der Ware, ihr Wert oder die Weiterverkaufsmöglichkeit ab oder ist die Originalverpackung für diese Ware gerade kennzeichnend, so stellt fehlende oder mangelhafte Verpackung einen Sachmangel dar (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.1976, Az. VIII ZR 244/74). Andere Verletzungen der Lieferpflicht wie die Lieferung an einen falschen Ort oder eine verspätete Lieferung stellen dagegen keinen Mangel im Sinne des § 377 HGB dar und müssen nicht gerügt werden.

3. "Unverzüglich" nach der "Ablieferung" (§ 377 Abs. 1 HGB)

Gemäß § 377 Abs. 1 HGB beginnt die Untersuchungs- und Rügepflicht mit der "Ablieferung" der Ware beim Käufer. Die Ware ist nach der Rechtsprechung abgeliefert, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gebracht wurde, dass dieser ihre Beschaffenheit überprüfen kann. Verweigert der Käufer die Annahme, so fehlt es an der Untersuchungsmöglichkeit. Für den Zeitpunkt der Ablieferung im Sinne des § 377 Abs. 1 HGB spielt es dagegen keine Rolle, ob die Untersuchung schwierig und langwierig ist. Ist Holschuld vereinbart, so ist die "Ablieferung" für gewöhnlich nicht schon in der Bereitstellung, sondern erst in der tatsächlichen Übergabe zu sehen (BGH, Urteil vom 11.10.1995, Az: VIII ZR 151/94). Dies kann vom Gericht anders bewertet werden, wenn die Ware bei einem Dritten hinterlegt wird und es nur noch am Käufer liegt sie in Besitz zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 20.04.1988, Az: VIII ZR 1/87).

Ein Mangel muss dem Verkäufer gem. § 377 Abs. 1 HGB "unverzüglich" nach der Ablieferung angezeigt werden. Gemäß § 121 BGB bedeutet unverzüglich "ohne schuldhaftes Zögern". Dieses Eilgebot gilt sowohl für die Untersuchung als auch für die Rüge. Ist keine Untersuchung erforderlich, da der Mangel auch ohne diese erkennbar ist, so ist lediglich unverzüglich zu rügen. Problematisch ist in der Praxis, dass letztlich kein verlässlicher zeitlicher Richtwert existiert. So kann für einen entdeckten Mangel eine Rügefrist von 1 bis 2 Tagen gelten. Beim Handel mit Lebensmitteln (Fischhandel, Gemüsehandel u.a.) kann die Frist dagegen auch nur Stunden betragen. Die Verhältnisse des Käufers (geringe Personalausstattung, individuelle Ruhetage, dezentrale Lagerung u.a.) spielen dagegen keine Rolle. Der erfahrene Rechtsanwalt wird jedoch im Einzelfall anhand der einschlägigen Rechtsprechung einen ungefähren Zeitrahmen ermitteln können, was unter "unverzüglich" i.S.d. § 377 HGB zu verstehen ist.

4. "Tunlichkeit" der Untersuchung (§ 377 Abs. 1 HGB)

377 Abs. 1 HGB enthält jedoch eine Einschränkung des Gebots der Unverzüglichkeit. Denn die Untersuchung des Kaufgegenstandes muss nach der Ablieferung nur unverzüglich erfolgen, "soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist". Dabei geht es um die Zumutbarkeit der Untersuchung. Welche Art und welcher Umfang von Untersuchung dem Käufer zumutbar ist, ist wiederum eine Frage des Einzelfalls und sollte ebenfalls von einem auf Handelsrecht spezialisierten Rechtsanwalt individuell anhand der einschlägigen Rechtsprechung ermittelt werden. So kann es etwa geboten sein im Rahmen der Überprüfung von Konserven Stichproben zu erhitzen (vgl. BGH, BB 77, 1019), Proben von tiefgefrorenem Fisch aufzutauen (vgl. OLG Oldenburg, NJW 98, 388) oder bei gefärbten Stoffen einen Wasch- und Kochtest durchzuführen (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 72, 330). Bei Maschinen kann es geboten sein diese in Gang zu setzen und längere Probeläufe und Beobachtungszeiten durchzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.1977, Az: VIII ZR 194/75).

Je nach Menge der Ware kann eine Überprüfung nur in Stichproben zumutbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.1977, Az.: VIII ZR 194/75). Die Stichproben sind dann nach der Rechtsprechung so zu ziehen, dass sie sich über die gesamte Lieferung verteilen und dadurch aussagekräftig d.h. repräsentativ sind (vgl. OLG Köln, Urteil vom 06.03.1998, Az.: 19 U 185/97). Wird die Ware durch die Stichproben verbraucht oder beschädigt, so genügen nach der Rechtsprechung wenige Stichproben. Handelt es sich dagegen um originalverpackte Markenware bei der eine unversehrte Verpackung einen wertbestimmenden Faktor darstellt und ist die Überprüfung nur mittels einer Beschädigung der Originalverpackung möglich, so wird eine umfangreiche Überprüfung ggf. wiederum unzumutbar sein. Ähnlich sind Fälle zu werten, bei denen Stichproben zu einer Unverkäuflichkeit der gesamten Ware führen würden. Bei diesen Konstellationen kann von einer stillschweigenden Abrede über das Hinausschieben der Untersuchungsobliegenheit bis zur Ingebrauchnahme durch den Letztabnehmer auszugehen sein.

5. "Anzeige" des Mangels (§ 377 Abs. 4 HGB)

Will der Käufer die ihm aus dem Mangel der Ware erwachsenden Rechte (§ 434ff. BGB u.a.) erhalten, so muss er gemäß § 377 Abs. 4 HGB rechtzeitig eine "Anzeige" absenden. Tut er dies nicht, so ist die Kaufsache gemäß § 377 Abs. 2 und 3 HGB als vertragsgemäß anzusehen und gilt als genehmigt (BGH, Urteil vom 08.11.1979, Az.: III ZR 115/78). Bei der Anzeige können sich Käufer und Verkäufer auch nach den allgemeinen Vertretungsregeln des BGB (§§ 164ff. BGB) vertreten lassen. Bei sogenannten Streckengeschäften, bei denen der Verkäufer vertraglich direkt an einen Zweitkäufer zu liefert hat oder bei denen er mit einer Untersuchung erst durch den Zweitkäufer einverstanden ist, kann entweder der Zweitkäufer direkt oder auf dessen unverzüglichen Hinweis hin der Erstkäufer unverzüglich beim Verkäufer rügen (vgl. zum Leasing BGH, Urteil vom 24.01.1990, Az.: VIII ZR 22/89 = BGHZ 110, 130-147). Nach der Rechtsprechung muss der Verkäufer der Anzeige Art und Umfang der Mängel entnehmen können, damit er die Beanstandung prüfen, den Mängeln abhelfen oder für einen Zivilprozess Beweise sichern kann (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.1986, Az.: VIII ZR 195/85). Nach der Rechtsprechung kann jedoch auch eine Rüge ohne vorausgegangene Untersuchung ausreichen, wenn diese aufgrund von anderweitig erlangter Kenntnis auf Verdacht hin erfolgt.

6. Ergebnis

Die Untersuchungs- und Rügepflicht des § 377 HGB ist nach der Erfahrung von Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg im Handelsverkehr von erheblicher Relevanz. Oft wird der von der Rechtsprechung zugebilligte Zeitraum zur Untersuchung oder Anzeige von Mängeln unbewusst überschritten oder es gibt Streit um den geforderten Umfang der Überprüfung. Je nach Menge und Wert der Ware kann daraus ein erheblicher Schaden entstehen. Handelt es sich bei der Ware um Produktionsmaschinen, so kann sich der Mangel sogar auf die ganze Produktion auswirken. Es sollten daher in jedem Einzelfall die Kriterien des § 377 HGB anhand der Rechtsprechung konkretisiert und beachtet werden.

Rechtsanwalt Dr. Rönsberg ist für unverbindliche Rückfragen erreichbar unter 089 - 51 24 27 0 oder unter roensberg@slb-law.de.