OLG Dresden - Kein Schadenersatz für Verdienstausfall bei fehlendem Kinderbetreuungsplatz

Soziales und Sozialversicherung
27.08.2015275 Mal gelesen
Das OLG Dresden hat in drei Fällen einen Schadensersatz für Verdienstausfall bei fehlendem Kinderbetreuungsplatz verneint (OLG Dresden, Urteile vom 26.08.2015, AZ: 1 U 319/15, 1 U 320/15, 1 U 321/15). Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Das Gericht verlautbarte in einer Pressemitteilung vom 26.08.2015:

"Der für Amtshaftungsansprüche zuständige 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat mit seinem Urteil vom 26. August 2015 die Klagen von drei Müttern .... abgewiesen, die von der Stadt Leipzig Schadenersatz für Verdienstausfall begehren, weil ihre Kinder nicht mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung erhalten hatten.

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Dresden hat die Stadt Leipzig zwar die ihr nach § 24 Abs. 2 SGB VIII obliegende Amtspflicht, den Kindern der Klägerinnen einen Platz in einer Kindertagesstätte zu verschaffen, verletzt. Die Klägerinnen seien aber nicht geschützte Dritte dieser Amtspflicht.

Den Klägerinnen selbst stehe kein Anspruch auf einen Platz für ihr Kind in einer Kindertagestätte zu. Anspruchsinhaber sei alleine das Kind. Die Klägerinnen seien nicht in den Schutzbereich des § 24 Abs. 2 SGB VIII einbezogen. Ziel des Gesetzes sei die frühkindliche Förderung. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei lediglich die notwendige Folge der breiten Schaffung von Kindertagestätten.

Zudem sei der Verdienstausfallschaden der Klägerinnen auch nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Dies wären nur Schäden, die dem Kind wegen Verstoßes gegen seinen Anspruch auf frühkindliche Förderung zustünden. Mittelbare Schäden der Eltern, wie der Verdienstausfall, seien hier nicht inbegriffen.

Auf den Streit der Parteien, ob der Beklagten im Zusammenhang mit der Erarbeitung der Bedarfsplanung Fehler unterlaufen sind und ob dies vorwerfbar gewesen wäre, kam es daher bei der Entscheidung nicht an.

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Gegen diese Entscheidungen des Oberlandesgerichts Dresden kann Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt werden.

.. "

In erster Instanz hat das Landgericht Leipzig der Klage in vollem Umfang stattgegeben (u. a. LG Leipzig, Urteil vom 02.02.2015, AZ: 7 O 1928/14):

Die dahingehende Pressemitteilung vom 02.02.2015 lautet:

"Vor dem Landgericht Leipzig hatten in drei Fällen Mütter ihren Verdienstausfall eingeklagt, weil ihren Kindern nicht mit Vollendung des ersten Lebensjahres von der beklagten Stadt Leipzig ein Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung zugewiesen wurde. In allen beim Landgericht Leipzig eingeklagten insgesamt drei Prozessen haben die Mütter Schadensersatz in voller - eingeklagter - Höhe in den heute am 02. Februar 2015 verkündeten Urteilen zugesprochen bekommen.

Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII (Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder und Jugendhilfe -) hat ein einjähriges Kind bis es drei Jahre alt wird, Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Die Vorschrift wurde durch das Kinderförderungsgesetz aus dem Jahr 2008 eingeführt und ist am 1. August 2013 in Kraft getreten. Das Landgericht hat darin, dass die Stadt trotz entsprechender Bedarfsanmeldungen den Kindern keinen Kinderbetreuungsplatz zugewiesen hat, die Verletzung einer Amtspflicht gesehen, die zwar zunächst nur gegenüber den Kindern als unmittelbar Anspruchsberechtigten besteht, aber auf die sich auch - da drittschützend - die erwerbstätigen erziehungsberechtigten Eltern berufen können.

Dies ergebe sich bereits aus dem Gesetz selbst, da Tageseinrichtungen den Eltern helfen sollen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können. Ein Verschulden der Stadt als Träger der öffentlichen Jugendhilfe wurde schon allein aus dem Fakt genommen, dass ein Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt wurde.

Das Gericht hat zwar anerkannt, dass die Stadt Leipzig dem gesetzlichen Auftrag aus Kinderförderungsgesetz und Sächsischem Kindertagesstättengesetz durch eine umfangreiche Kindertagesstättenplanung Rechnung getragen hat. Aber die Stadt könne sich nicht damit entlasten, dass die Freien Träger und privaten Investoren die nach dem Bedarfsplan der Stadt vorgesehenen Kindertagesplätze aus baulichen und planerischen Gründen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt haben. Denn es sei auch Vorsorge für einen unvorhersehbaren Bedarf zu treffen. Dass die Stadt dem nachgekommen sei, sei aber nicht hinreichend im Prozess dargelegt worden.

Da ein Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht auf Zurverfügungstellen eines Betreuungsplatzes offensichtlich nicht dazu geführt hätte, dass die Kinder einen Platz in einer Kindertagesstätte tatsächlich dann auch erhalten hätten, könne den Müttern nicht vorgeworfen werden, nicht auf diesem Wege versucht zu haben, den Verdienstausfallschaden abzuwenden. .. "

Die Aktenzeichen der ersten Instanz lauten: LG Leipzig, 7 O 1455/14, 7 O 1928/14 und 7O 2439/14.

Der Rechtsauffassung der ersten Instanz ist zu folgen. Der Anspruch auf Kita bzw. Kindertagesstätte und Kindergarten nach § 24 SGB VIII besteht bereits seit dem 01.08.2013. Dies ist ein unmittelbar aus dem Gesetz folgender Anspruch. Es mutet befremdlich an, daß das OLG Dresden zur Begründung, diese Norm sei nicht drittschützend, unter anderem ein Urteil des Reichsgerichtes von 1920 anführt (Urteil vom 05.10.1920, AZ III 213/20). Für eine Amtshaftung komme es auf die Handlung oder Unterlassung von Beamten der Beklagten an, da die Amtshaftungspflicht eine übergeleitete Beamtenhaftung sei. Dies ist zwar grundsätzlich richtig, verkennt aber völlig den Zweck des § 24 SGB VIII, den das Reichsgericht noch gar nicht kannte.

Das Gesetz dient dem Zweck, daß die Eltern ihre Erwerbstätigkeit und die Kinderbetreuung besser vereinbaren können. Die Eltern sind nicht nur Sorgeberechtigte, sondern auch Vertreter ihrer Kinder in allen rechtlichen Belangen. Das Kind kann selbst gar keine Ansprüche durchsetzen und ist für seine Betreuung auf seine Eltern angewiesen, die diese nur durchführen können, wenn sie ggf. ihre Erwerbstätigkeit einschränken. Die Eltern sind also zwingend Mittler zwischen allen Ansprüchen des Kindes und dem jeweils Verpflichteten.

Es bleibt zu hoffen, daß der Bundesgerichtshof die Urteile des OLG Dresden kassiert.

Viele Eltern wenden sich telefonisch direkt an die Betreuungsstätten oder an die Rathäuser ihres Wohnortes und erhalten keine Informationen oder Absagen bzw. nur Mitteilungen von Allgemeinplätzen. Dies ist die falsche Vorgehensweise.

Der Antrag ist schriftlich dokumentiert bei der für Sie zuständigen Kommune oder dem für Sie zuständigen Landkreis zu stellen und zwar beim Jugendamt bzw. Amt für Jugend und Familie und zwar zeitnah. Der Anspruch steht zwar dem Kind zu, muß aber naturgemäß vom Erziehungsberechtigten geltend gemacht werden. Der Anspruch ist gerichtet auf die Möglichkeit des Besuchs einer ortsnahen Einrichtung. Zwar sieht das Gesetz keine konkrete Antragsfrist vor. Trotzdem sollten Sie mindestens 3 Monate, noch besser 6 Monate, bevor Sie den Platz benötigen, einen entsprechenden Antrag stellen.

Das Amt muß dann reagieren. Weist es Ihnen einen Kindertagesstättenplatz zu oder teilt es Ihnen eine Tagespflege mit, ist zu prüfen, ob diese den Anforderungen entsprechen. Gehen Sie davon aus, daß Sie eine Absage erhalten. Je nachdem, ob solche Mitteilungen als Verwaltungsakte zu qualifizieren sind, ist in bestimmten Fristen der Verwaltungsgerichtsweg zu beschreiten, ggf. im Eilverfahren. Eine Klage ist gerichtet auf Zulassung zu einer bestimmten Tageseinrichtung oder auch die Bereitstellung eines Platzes in der Form der allgemeinen Leistungsklage. Reagiert die Behörde gar nicht, ist die Klage als Untätigkeitsklage einzureichen und empfehlenswerter Weise immer auf Einklagung des Rechtsanspruches aus § 24 SGB VIII.

Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob nach Ablauf der entsprechenden Fristen noch eine Klage auf Erlass eines durch Zeitablaufs erledigten Verwaltungsaktes statthaft ist. Andererseits ist insbesondere im Hinblick auf etwaige Amtshaftungsansprüche eine Klage vor dem Verwaltungsgericht zu empfehlen.

Wenn Sie wegen der Betreuung Ihren Arbeitsplatz nicht antreten können, können Sie Verdienstausfall einklagen, oder die Betreuung privat organisieren und die Kosten einklagen. Kann nämlich die Kommune keinen bedarfsgerechten Platz anbieten, wandelt sich der Anspruch auf Bereitstellung eines Platzes in einen Kostenerstattungsanspruch um. Dies ist aber nur aussichtsreich, wenn Sie vorher vor dem Verwaltungsgericht geklagt haben. Hier sind Schadensminderungspflichten zu beachten.

 

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.

Mail:kanzlei@anwalthesterberg.de