Krankenversicherung – Hörgeräte – Anspruch auf Versorgung mit höherwertigen (höherpreisigen) Hörgeräten

Soziales und Sozialversicherung
15.04.2014854 Mal gelesen
Das niedersächsische Landessozialgericht hat in einem Urteil vom 19.2.2014 über einen Anspruch auf Versorgung mit einem höherwertigen Hörgerät entschieden.

Das LSG nahm auch zu den Voraussetzungen Stellung, unter denen ein Rentenversicherungsträger aufgrund einer "aufgedrängten" Zuständigkeit über einen Leistungsantrag nach den Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung entscheiden muss.

Auch ein höherwertiges und damit regelmäßig auch höherpreisiges Hörgerät ist grundsätzlich erforderlich, wenn und soweit es nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet.

In dem Urteil ging es um einen 1952 geborenen Kläger, der an einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit leidet. Seit 2001 war er mit einem digitalen Hinter-dem-Ohr Hörgerät versorgt. In den Jahren 2008 und 2011 erlitt er jeweils einen Hörsturz. Das behandelnde Krankenhaus verordnete 2008 eine Hörhilfe. Der Kläger hatte einen entsprechenden Antrag auf Leistung zur Teilhabe für Versicherte bei der deutschen Rentenversicherung Bund eingereicht und einen Kostenvoranschlag eines Hörgeräteakustiker beigefügt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund zog eine Leistungsübersicht der zuständigen Krankenkasse sowie eine Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbeschreibung des Arbeitgebers bei. Daraufhin lehnte Sie den Antrag im August 2008 ab. Sie begründete diese Entscheidung unter anderem damit, dass der Kläger die beantragten Hörgeräte nicht aus beruflichen Gründen benötige. Für den sonstigen Alltagsbedarf sei sie nicht zuständig.

Die Klage blieb in 1. Instanz erfolglos. Das Landessozialgericht gab dem Kläger dagegen recht und verurteilte die Deutsche Rentenversicherung Bund, über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, dass die Versorgung mit Hörgeräten dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient und demzufolge ein begehrtes Hörgerät grundsätzlich im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen erforderlich ist, wenn es nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet. Dies gelte auch für höherwertige (und damit regelmäßig auch höhepreisige) Hörgeräte. Der Anspruch sei lediglich durch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) begrenzt. Die Leistungen müssen danach "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein" und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten;" Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichte das Gesetz nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von Ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind anderenfalls selbst zu tragen. Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Das gilt bei Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten nach ärztlicher Einschätzung in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht. Eine Begrenzung auf die Versorgung zum Festbetrag sei - so das LSG - nur dann zulässig, wenn eine sachgerechte Versorgung des Versicherten zu den festgesetzten Festbeträgen möglich sei. Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkasse nämlich dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht.

Das LSG stellt des weiteren fest, dass die bisherige Versorgung für den Kläger nicht mehr ausreichend sei. Er habe auch im Alltag besondere Schwierigkeiten, seine Gesprächspartner in Situationen, in denen Nebengeräusche auftreten, zu verstehen. Da derzeit jedoch noch nicht feststehe, welche Geräte den bestmöglichen Ausgleich der Behinderung des Klägers ermöglichen und ob diese Geräte zum Festbetrag erhältlich sind, müsse die Deutsche Rentenversicherung Bund über den Antrag des Klägers neu entscheiden.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Bestimmungen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund sei jedoch zur Entscheidung berufen. Denn ein einmal gestellter Antrag sei umfassend, d.h. auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen und Anspruchsgrundlagen hin zu prüfen. Er dürfe insbesondere nicht "künstlich" in separate Teil-Leistungsanträge für die verschiedenen in Betracht kommenden Teilhabeleistungen aufgespalten werden. Deshalb hätte die Deutsche Rentenversicherung Bund den Leistungsantrag des Klägers von vornherein sowohl unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur medizinischen Rehabilitation als auch unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu prüfen und danach die Zuständigkeit zu bestimmen gehabt. Wenn ein zuerst angegangener Rehabilitationsträger (hier: die Deutsche Rentenversicherung Bund) eine gesetzlich vorgeschriebene (§ 14 Abs. 1 SGB IX) fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt habe und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf sie übergegangen sei, verliere der eigentlich zuständige Rehabilitationsträger (hier: die gesetzliche Krankenversicherung) im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine Zuständigkeit für eine Teilhabeleistungen. Der Sinn dieser Regelung sei es, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern schnell und dauerhaft die Zuständigkeit zu klären und so den Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken.

Da die Deutsche Rentenversicherung Bund die vorgeschriebene Zuständigkeitsklärung nicht vorgenommen hatte, musste sie nach den Feststellungen des Landessozialgerichts über die Hörgeräteversorgung auch unter Berücksichtigung der für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Rechtsvorschriften entscheiden.

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - Urteil vom 19.2.2014 - L 2 R 75/12

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