Kostenerstattung im Sozialrecht - ambulante medizinische Rehabilitation - EAP (Erweiterte Ambulante Physiotherapie) - Krankenversicherung - Unfallversicherung - Rentenversicherung

Schaden, Versicherung und Haftpflicht
06.03.20104981 Mal gelesen
Das Bundessozialgericht hat am am 17. Februar 2010 in einem Revisionsverfahren der AOK PLUS gegen die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Fragen des Rechts der Kostenerstattung entschieden: In dem Fall ging es um einen Versicherten, der als Straßenbauarbeiter bei der klagenden BG unfallversichert, bei der beklagten AOK PLUS krankenversichert war. Im August 2001 erlitt er bei einem Arbeitsunfall eine Prellung des linken Knies und war in der Folgezeit arbeitsunfähig krank. Die BG hatte dem Versicherten nach der Diagnose eines Kreuzbandrisses und einer Knorpelschädigung im Januar 2002 zunächst zur Vorbereitung einer Kreuzbandplastik und zusätzlich später nach durchgeführter Operation eine sog "Erweiterte Ambulante Physiotherapie" (EAP) gewährt hatte. Der Versicherte erhielt die EAP von Mai bis Juli 2002 im Anschluss an seine stationäre Behandlung. Im November 2002/Januar 2003 gelangte die BG zu der Einschätzung, dass der Kreuzbandriss keine Arbeitsunfallfolge sei und lehnte gegenüber dem Versicherten die Gewährung eigener Leistungen über den 10.9.2001 hinaus ab. Die Entscheidung wurde bestandskräftig Die BG forderte von der AOK PLUS, für die geleistete EAP 1.663,30 Euro zu erstatten.
 
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen und die beigeladene Rentenversicherungsträgerin zur Zahlung verurteilt. EAP gehe über akute Krankenbehandlung hinaus und sei eine ambulante medizinische Reha-Maßnahme, für die wegen der Subsidiaritätsregelung in § 40 Abs 4 SGB V der Rentenversicherungsträger vorrangig zuständig sei. EAP sei eine Kombination von Elementen der Krankengymnastik, der physikalischen Therapie und der medizinischen Trainingstherapie zur Beseitigung besonders schwerer Funktions- und Leistungsbeeinträchtigungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates, nicht aber - hier bereits abgeschlossen gewesene - Akutbehandlung.
 
Der Rentenversicherungsträger legte hiergegen Berufung ein. Das LSG hob das SG-Urteil auf und verurteilte die AOK PLUS als nach § 105 Abs 1 SGB X erstattungspflichtigen Träger. Die EAP habe sehr wohl einer Akutbehandlung des Versicherten gedient, nämlich der Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit des Knies, nicht aber als medizinische Reha-Maßnahme einem "psychosozialen umfassenden Rehabilitationsansatz".
 
Dagegen wandte sich die AOK PLUS mit der Revision und war erfolgreich. Das BSG hob das LSG-Urteil auf, wies die Berufung des Rentenversicherungsträgers zurück stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her. Der klagenden Berufsgenossenschaft können die geltend gemachten Kosten nur aus der Rentenversicherung erstattet werden. Entsprechend der Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4) kommt § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X als einzige Anspruchsgrundlage in Betracht. Die Regelung greift auch in Fällen des § 14 Abs 3 SGB IX, dh wenn der Rehabilitationsträger nicht auf Antrag leistet, sondern von Amts wegen (hier: nach § 19 Satz 2 SGB IV). Für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X gegen die Beklagte fehlt es hier aber daran, dass sie nicht vergleichbaren kongruenten Leistungspflichten nach dem SGB V unterlag wie die Klägerin. EAP ist keine ärztliche Behandlung und keine Versorgung mit Heilmitteln iS des SGB V, sondern der ambulanten medizinischen Rehabilitation zuzuordnen. Dafür aber war wegen der Subsidiaritätsregelung des § 40 Abs 4 SGB V die Beigeladene zuständig. EAP ist in den Heilmittel-Richtlinien und im Heilmittelkatalog nicht als verordnungsfähige ambulant erbringbare Leistung enthalten. EAP ist wegen ihres eigentümlichen Charakters als gegenüber konventionellen Behandlungsformen "erweiterte" Therapie kein Teil der akutmedizinischen Krankenbehandlung. Nach dem Eigenverständnis der Unfallversicherungsträger ist sie eine auf Grund der Ergebnisse der Rehabilitation von Leistungssportlern entwickelte ambulante Therapieform, bei der eine intensivierte physiotherapeutische Behandlung durch muskuläres Aufbautraining unterstützt wird. Die Therapie geht so über Physiotherapie/Krankengymnastik, Massage und Elektrotherapie hinaus und findet ihre kranken- und rentenversicherungsrechtliche Entsprechung in den dort geltenden Regelungen über die medizinische Rehabilitation. Für die bei einer Kniegelenkverletzung vorzunehmende Abgrenzung zwischen dem Ende der Akutbehandlung und dem Beginn der medizinischen Rehabilitation kann nicht entscheidend auf die Situation bei Suchtkranken oder das Vorhandensein einer "psychosozialen Komponente" abgestellt werden. Entsprechend der Zielrichtung des § 25 Abs 2 SGB VII sollte bei dem Versicherten "mit allen geeigneten Mitteln" der Gefährdung seiner Erwerbsfähigkeit als Straßenbauarbeiter mit ganzheitlicher Komplexbehandlung entgegengewirkt werden.
 
BSG Terminvorschau und Terminsbericht 17.02.2010
 
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