Keine Presseplätze für „Hürriyet“: Handelt das OLG München rechtmäßig?

Medien- und Presserecht
03.04.2013483 Mal gelesen
Müssen Presseplätze im Gerichtssaal für bestimmte Medien reserviert werden? Das Vorgehen des Oberlandesgerichts (OLG) München anlässlich des auch international Beachtung findenden NSU-Prozesses sorgt derzeit für heftigen Wirbel. Der türkischen Zeitung „Hürriyet“ wird weiterhin und wohl auch endgültig untersagt, einen der begehrten Presseplätze einzunehmen.

Der rechtliche Ausgangspunkt für das Handeln des Gerichts sind die Vorschriften der §§ 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Hiernach sind die Verhandlungen im Normalfall zwar öffentlich, das heißt für jedermann zugänglich. Die Gerichte sind daran aber nur bis zur Grenze der jeweiligen Saalkapazität gebunden. Darüber hinaus besteht dagegen kein Anspruch, die Öffentlichkeit auf sonstige Weise zuzulassen oder möglicherweise in eine größere Räumlichkeit umzuziehen. Keine Fernsehaufnahmen der Gerichtsverhandlung

Gerade bei Prozessen, die bundesweit von Bedeutung sind, ist es üblich, im Vorhinein bestimmte Plätze für Pressevertreter zu reservieren. Dadurch wird gewährleistet, dass die Vorgänge auch über die teilnehmenden Medien verfolgt werden können. Dies darf nach § 169 GVG allerdings nicht durch öffentliche Live-Aufnahmen geschehen, solche sind in Deutschland keinesfalls zulässig. Lediglich vor Beginn und nach Ende der Verhandlungen werden grundsätzlich Filmaufnahmen der Verfahrensbeteiligten gestattet.

Entscheidend gerade im vorliegenden NSU-Fall ist, nach welchem Prinzip die Presseplätze vergeben werden. In aller Regel gilt dabei das Prioritätsprinzip, wer zuerst kommt malt zuerst. So war es auch hier: Das Gericht setzte am 05. März 2013 eine Frist bis zum 14. März 2013, in der sich 325 Journalisten "beworben" hatten. Die acht türkischen Medien, die an der Verhandlung teilnehmen wollten, wurden für die lediglich 50 vorgesehenen Plätze nicht berücksichtigt, obwohl acht der zehn Opfer der angeklagten rechtsextremistischen Terrorgruppe türkischstämmig waren.

Akkreditierungsbedingungen nicht mehr zu ändern

Musste das Gericht bei dieser Sonderkonstellation vom Prioritätsprinzip abweichen? Die Münchener Juristen bleiben hart, obwohl mittlerweile heftige Kritik aus ganz Deutschland auf sie einprasselt.

Dabei gab es durchaus anderweitige Bemühungen von deutschen Presseunternehmen den türkischen Kollegen einen solchen Zugang zu verschaffen. So hat die "BILD"-Zeitung zuletzt den Journalisten der Zeitung "Hürriyet" sogar ihre Plätze angeboten. Deren Annahme dieses Angebots war jedoch vergeblich, da ein solcher Platztausch vom OLG München untersagt wurde.

Gerichtssprecherin Margarete Nötzel sagte, ein solcher Tausch und generell eine Nachmeldung sei nicht möglich. Jeder Journalist müsse namentlich sowie für das Medium akkreditiert sein. "Wir können nicht im Nachhinein die Akkreditierungsbedingungen ändern."

"Es ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten, welches Bild die bayerische Justiz vermittelt, wenn sie das Akkreditierungsverfahren für einen Prozess, der in seinen Dimensionen ohne weiteres vergleichbar ist mit dem gegen den norwegischen Attentäter Anders Breivik oder die RAF-Prozesse in Stammheim, wie eine Losbude auf dem Jahrmarkt organisiert", meinte indes stellvertretend für viele die Geschäftsführerin der deutschen Journalisten Union (dju), Cornelia Haß.

Rechtlicher Spielraum vorhanden

In rechtlicher Hinsicht gibt es nämlich durchaus Möglichkeiten, die türkischen Journalisten miteinzubinden. § 169 GVG verbietet lediglich Ton- und Fernsehaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung. Nicht nur der Verfassungsrechtler Wolfgang Hoffmann-Riem ist der Ansicht, dass eine Fernsehübertragung beispielsweise in einen Nebenraum für Journalisten zum Zwecke der Verfolgung des Gerichtsverfahrens durchaus zulässig sei.

Wenn ein abgrenzbarer Personenkreis die Live-Bilder empfängt, sei die Vorschrift gar nicht einschlägig. § 169 GVG beschränke die Übertragung ja nicht auf exakt vier Wände, so Hoffmann-Riem. In den ARD-"Tagesthemen" sagte er weiter, dass für die türkischen Journalisten ein "spezifisches Interesse" an dem Verfahren bestünde. Dieses müsse das Gericht im Rahmen seiner Möglichkeiten berücksichtigen.

Auch eine Verlegung nicht praktikabel

Nicht wirklich überraschend kommt für den bayrischen Spruchkörper auch diese Variante nicht in Betracht. Zu groß ist dem Vernehmen nach die Angst, dass das spätere Urteil schon aus diesem Grunde einer möglichen Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nicht standhalte.

Eine Verlegung der Verhandlung in einen anderen Sitzungssaal hatte das OLG unter anderem deswegen abgelehnt, weil der gewählte Saal 101 "aufwendig umgebaut und modernisiert" worden und es der größte Gerichtssaal in Bayern sei, der den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen entspreche. "Ein anderer Raum wie beispielsweise ein Konzertsaal müsste komplett umgebaut werden", so Gerichtssprecherin Margarete Nötzel.

Unterschiedliche presserechtliche Auswahlverfahren

Dabei ist das aktuelle Verfahren kein Einzelfall. Auch im Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann gab es Ärger bei der Pressezuteilung. Dieser hielt sich aber schon deswegen in Grenzen, weil das Mannheimer Landgericht damals den Sitz des jeweiligen Mediums miteinbezog. So konnte gewährleistet werden, dass auch die Schweizer Journalisten über ihren Landsmann berichten konnten.

Denn immer wenn ein spektakulärer Fall zur Verhandlung ansteht, ist das Interesse der Öffentlichkeit groß, der Platz in einem Gerichtssaal aber meist begrenzt. Der Bedeutung der Presse Rechnung tragend muss Medienvertretern angemessener Platz im Veranstaltungsraum, hier also dem Gerichtssaal, eingeräumt werden. Als grobe Richtlinie gelten hier ca. 50% der verfügbaren Plätze. Im Übrigen ist das Gericht aber aufgrund seiner sitzungspolizeilichen Verfügungsmacht, also dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden einer Gerichtsverhandlung in der Sitzung die Ordnung nach § 176Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) aufrechtzuerhalten, frei in solchen Fällen eine Auswahl der Medienvertreter zu treffen. Die Auswahlentscheidung muss jedoch an Hand von wertungsfreien, objektiven Kriterien getroffen werden. Dies ist im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens bspw. ein Prioritätsverfahren, d.h. bis zu einem bestimmten Zeitpunkt muss sich der Pressevertreter, der Zugang zu einer Veranstaltung mit begrenzter Raumkapazität wünscht, unter Darlegung seines berechtigten Interesses melden. Dabei entscheidet primär die zeitliche Reihenfolge der Akkreditierungsmeldung. Ein solches Verfahren wird meist bei einer reinen Wortberichterstattung angewandt.

Denkbar wäre auch eine sog. Poollösung. Hier wird jeweils ein Medienvertreter zum Poolführer ernannt, der dann sein Material kostenfrei den anderen Medienvertretern zur Verfügung stellten muss, also bspw. ein Vertreter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, ein Vertreter des Privatfernsehens, ein Vertreter für Tageszeitungen, ein Vertreter für Zeitschriften, etc. Dies erfolgt meist im Rahmen von Bildberichterstattungen.

Nötzel gibt zu, dass auch dieses Verfahren im NSU-Prozess möglich gewesen wäre. "Der Senat hat aber anders entschieden." Das zeigt das ganze Dilemma der Diskussion: Das Gericht hat vor dem Prozess eine Entscheidung über die Vorgehensweise bei der Zuteilung getroffen und stellt sich resolut auf den Standpunkt, dass eine Änderung nicht mehr möglich sei.

Entscheidung richtig, aber doch falsch

Dies ist zum einen konsequent, da gewisse Entscheidungen im Vorhinein getroffen werden müssen und es im Grundsatz sicher nicht angehen kann, dass Externe noch nachträglich über das konkrete Verfahren bestimmen. Allerdings ist augenscheinlich, dass das Gericht die Tragweite völlig  unterschätzt hat und der Entwicklung der letzten Tage zwingend Rechnung tragen müsste.

Es hätte ohne Zweifel erkennen müssen, dass die Presseplatzvergabe ähnlich wie im Kachelmann-Prozess unter Berücksichtigung des Einzelfalls nach regionalen Gesichtspunkten hätte erfolgen müssen, bzw. eine bestimmte Kapazität der verfügbaren Plätze für Medien aus dem Land der Opfer der Mordserie vorgehalten werden sollten. Da dies von Gesetzes wegen nicht vorgeschrieben wird, ist das Handeln des Oberlandesgerichts zwar richtig, da zumindest schlüssig und vertretbar. Dennoch bleibt bereits jetzt ein schaler Beigeschmack, der vor dem Hintergrund der zudem aufgetretenen Ermittlungspannen in diesem Verfahren, sicherlich nicht dazu geeignet ist das Bild der deutschen Justiz im Ausland erheblich zu verbessern.