Die Kündigung behinderter Arbeitnehmer- Was bedeutet der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte im Einzelnen?

Arbeit Betrieb
08.05.20093840 Mal gelesen
In der arbeitsrechtlichen Praxis werden oftmals die formalen Anforderungen einer Kündigung von Schwerbehinderten und ihnen Gleichgestellten unterschätzt. Grundsätzlich genießt der behinderte und der ihm gleichgestellte Arbeitnehmer einen Sonderkündigungsschutz. Dieser Sonderkündigungsschutz bezieht sich auf sämtliche Kündigungen, sowohl fristgemäße Kündigungen, sei es aus betriebs-, verhaltens- oder personenbedingten Gründen, als auch auf außerordentliche Kündigungen oder auch Änderungskündigungen, die zum Ziel haben, den Arbeitnehmer zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen. Der Sonderkündigungsschutz ist auch nicht auf spezielle Arbeitnehmergruppen beschränkt, sondern umfasst alle Arbeitnehmer, auch leitende Angestellte und Auszubildende. Der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte setzt voraus, dass die Schwerbehinderung entweder offensichtlich erkennbar ist oder zum Zeitpunkt der Kündigung festgestellt ist. Bei Zugang der Kündigung muss der Arbeitnehmer bereits als Schwerbehinderter anerkannt sein oder den Antrag auf Anerkennung mindestens drei Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt haben (§90 Abs. 2 a SGB IX). Die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung ist irrelevant. Der Arbeitnehmer ist auch nicht verpflichtet, seinen Arbeitgeber über seine Schwerbehinderung zu informieren, außer diese Schwerbehinderung erfordert Anpassungen seines Arbeitsplatzes. Allerdings muss der Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung innerhalb von einer Frist von maximal einem Monat die Schwerbehinderung seinem Arbeitgeber mitteilen ohne seinen Sonderkündigungsschutz zu verwirken.
 
Was bedeutet Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte im Einzelnen?
 
Zunächst bestehen nach den §§ 85 ff. SGB IX bestimmte formale Voraussetzungen für den Arbeitgeber um eine Kündigung eines Schwerbehinderten wirksam aussprechen zu können.
 
1.
Zunächst ist die gesetzlich Mindestkündigungsfrist von 2 Wochen auf 4 Wochen verlängert. Zudem muss der Arbeitgeber auch bei Beschäftigten, die innerhalb der Probezeit oder innerhalb der ersten sechs Monate gekündigt werden, dem Integrationsamt die Kündigung anzeigen.
 
2.
Darüber hinaus muss bei länger als sechs Monate beschäftigten Arbeitnehmern das Integrationsamt schriftlich der Kündigung zustimmen. Es bietet sich an, für die Anhörung die formalen Vordrucke der Integrationsämter zu benutzen, die im Internet herunter zu laden sind. Die Pflicht zur Anhörung besteht unabhängig von der Betriebsgröße. Also auch in Kleinbetrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, besteht der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte. Wird die Anhörung unterlassen, ist die Kündigung unwirksam.
 
3.
Das Integrationsamt muss den betroffenen Arbeitnehmer anhören, ansonsten ist die Entscheidung des Integrationsamtes über die Wirksamkeit der Kündigung anfechtbar. Darüber hinaus hört das Integrationsamt den Betriebs- oder Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung und auch das Arbeitsamt vor seiner Entscheidung an. Das Integrationsamt ist verpflichtet, innerhalb von einem Monat zu entscheiden. In der Praxis wird diese Frist oftmals nicht eingehalten, was allerdings nicht dazu führt, dass in jedem Fall die Zustimmung als erklärt gilt. In den meisten Fällen hat der Arbeitgeber auf die Entscheidung des Integrationsamtes zu warten. Wird die Entscheidung des Integrationsamtes dem Arbeitgeber zugestellt, hat er innerhalb von einem Monat die Kündigung auszusprechen.
 
4.
Von Arbeitnehmerseite wird oft die Entscheidung des Integrationsamtes als Entscheidung über die arbeitsrechtliche Wirksamkeit der Kündigung verkannt. Das Integrationsamt entscheidet allein nach pflichtgemäßen Ermessen, ob es die Zustimmung zur Kündigung gibt. Hierbei spielen die Nachteile des Arbeitnehmers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und die Interessen des Arbeitgebers eine Rolle. Häufig entscheiden die Integrationsämter für den Arbeitgeber, wenn deutlich gemacht wird, dass die Kündigung nicht im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers steht und weitere Beschäftigungsmöglichkeiten auf gleichen oder ähnlichen Arbeitsplätzen nicht vorhanden sind. Insofern führt eine positive Entscheidung des Integrationsamtes nicht zu einer Aussichtslosigkeit einer ggf. nachfolgenden Kündigungsschutzklage. Das Integrationsamt prüft nicht die Wirksamkeit der ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung.
 
Für den Arbeitnehmer bedeutet dies, dass unabhängig von der Entscheidung des Integrationsamtes nach wie vor eine Kündigungsschutzklage eingereicht werden sollte. Für den Arbeitgeber bedeutet die Entscheidung des Integrationsamtes, dass er die Kündigung aussprechen, sich aber nicht auf deren Wirksamkeit verlassen kann.
 
5.
Spezielle Besonderheiten gelten beim Ausspruch außerordentlicher Kündigungen. Die außerordentliche Kündigung ist wirksam, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Für die Kündigung von schwer behinderten Mitarbeitern führt dies dazu, dass das Integrationsamt innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des wichtigen Grundes angehört werden muss. Das Integrationsamt muss dann innerhalb von zwei weiteren Wochen über diese Kündigung entscheiden. Nach der Entscheidung des Integrationsamtes hat der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich dem Arbeitnehmer gegenüber auszusprechen. Hierbei kommt es nicht auf die Zustellung der Entscheidung an, sondern allein auf das Treffen der Entscheidung. Der Arbeitgeber hat somit, sich also bei dem Integrationsamt zu erkundigen, wie denn die Entscheidung ausgefallen ist. Für die Arbeitgeberseite bedeutet dies, dass gerade beim Ausspruch von außerordentlichen Kündigungen erhöhte Aufmerksamkeit auf das Prozedere zu legen ist. Für die Arbeitnehmerseite gibt es gegen diese hohen formalen Anforderungen die Chance, die gesamte Kündigung zu Fall zu bringen. Denn wenn das Prozedere angefochten ist, ist die Kündigung aufgrund der kurzen Zweiwochenfrist nicht wiederholbar. Die außerordentliche Kündigung wäre unabhängig des Kündigungsgrundes damit zu Fall gebracht.
 
All dies zeigt, dass der Kündigungsschutz von Schwerbehinderten nicht absolut ist. Es handelt sich um formale Anforderungen vor Ausspruch einer Kündigung, die die Kündigung erschweren, aber nicht zu einer Unmöglichkeit der Kündigung führen. Auf der anderen Seite hat der betroffene schwer behinderte Arbeitnehmer natürlich die Möglichkeit, dieses formale Verfahren vollständig zu seinem Vorteil zu nutzen und sollte sich auch bei einem negativen Ausgang nicht davon abhalten lassen, die Kündigung arbeitsrechtlich auf ihre Wirksamkeit prüfen zu lassen.