Die Auswirkungen der aktuellen Grundgesetz-Änderungen durch die Föderalismusreform auf das Umweltrecht

Staat und Verwaltung
23.09.20062917 Mal gelesen

Die Föderalismusreform wird als die größte und bedeutendste Verfassungsänderung in der Geschichte des Grundgesetzes bezeichnet.

In der Tat hat sich vor allem im Bereich der Zuständigkeiten des Bundes und der Länder in Folge der Kompetenzverschiebung zwischen der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz und der Abschaffung der Rahmengesetzgebung vieles verändert.

 

Dies erschließt sich allerdings erst auf den zweiten Blick, da die wesentlichen Änderungen Detailfragen betreffen, deren Tragweite sich erst in den nächsten Jahren zeigen wird.

 

Im Bereich des Umweltrechts ergeben sich unmittelbar folgende weit reichende Veränderungen:

 

Am 30. Juni 2006 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (BTDrs 16/813)sowie ein Begleitgesetz zur Änderung einfacher Gesetze (BTDrs 16/814); dem folgte der Bundesrat am 07. Juli 2006.

Diese neuen Normen sind jetzt am 01. September 2006 in Kraft getreten (BGBl. I 2034 ff).

 

Hierdurch werden die Zuständigkeiten auch im Bereich des Umweltrechts zwischen dem Bund und den Ländern neu geregelt.

 

Gegenüber dem bislang geltenden Verfassungsrecht ergeben sich bedeutsame Veränderungen:

 

I.)  

Die umweltrechtlichen Materien Luftreinhaltung, Lärmschutz, Naturschutz, Wasser, Abfall und Bodenschutz unterliegen nicht mehr der Erforderlichkeitsklausel. Der Bund kann jetzt also ohne die bisherigen Einschränkungen nach Art. 72 II GG Normen setzen.

 

II.)  

Für die Materien Klimaschutz, Chemikaliensicherheit, etc., welche traditionell ganz oder teilweise mit der Kompetenzgrundlage "Recht der Wirtschaft" begründet wurden, bleibt es bei der derzeitigen Verfassungsgrundlage, da eine Befreiung von der Erforderlichkeitsklausel nicht erfolgte.

Somit kann der Bund auch weiterhin Vorschriften erlassen, wenn eine bundeseinheitliche Normierung notwendig erscheint.

 

III.)  

Die seit in Kraft treten des Grundgesetzes bestehende Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG (nunmehr alter Fassung) wird, wie bereits eingangs erwähnt, abgeschafft.

Für die dort bislang geregelten Materien besteht jetzt eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, sodass sich hier ein Konfliktfeld zwischen Bund und Ländern gerade in dem immer politisch brisanten Bereich des Umweltrechts abzeichnet, insbesondere bei differierenden Regierungskoalitionen.

Gerade in den Bereichen Naturschutz und Wasser kann jetzt erstmalig der Bund Vollregelungen treffen.

Die dahinter stehende Absicht ist es, das geplante Umweltgesetzbuch (UGB) vorzubereiten, nebst den projektierten Plänen zur Einführung einer integrierten Vorhabensgenehmigung, nachdem ja im Jahre 1999 ein UGB an der fehlenden Normgebungskompetenz für Naturschutz und Wasser scheiterte.

Bei der geplanten integrierten Vorhabensgenehmigung soll in einem bundeseinheitlichen Verfahren die Umweltverträglichkeit einer Industrieanlage unter Einbeziehung aller Umweltaspekte, wie Luft, Wasser, Boden, Energie, Abfall und Naturschutz erfolgen.

 

IV.)  

In Folge dieser Änderungen erhalten die Länder eigene, weitergehende Kompetenzen im Umweltrecht und können sowohl in den Regelungsmaterien Wasser und Naturschutz, als auch im Verfahrensrecht  vom Bundesrecht abweichende Normierungen vornehmen, gemäß Art. 72 III GG.

 

Der Bund kann hingegen für bestimmte Teilmaterien abschießende Normierungen - nach Zustimmung durch den Bundesrat - vornehmen, beispielsweise allgemeine Normen des Umweltrechtes und die stoff- und anlagenbezogenen Anforderungen des Wasserrechtes regeln, ohne dass den Ländern eigene Normierungsfreiräume verbleiben, gemäß Art. 84 I GG.

Punktuell wurde hier also auch gleichzeitig das Gesetzgebungsverfahren neu geregelt.

 

V.)  

Gleichzeitig wurde zu Lasten der Länder eine Übergangsregelung in das Grundgesetz aufgenommen, wonach diese bis zum 31. Dezember 2009 im Bereich des Wasser- und Naturschutzrechtes ihre Abweichungsbefugnis noch nicht nutzen können.

Die Initiative hierzu ging vom Bundes-Umweltministerium aus, um dem Bund zunächst die Möglichkeit zu belassen das geplante UGB durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen, bevor die Länder von ihrer neu gewonnenen Regelungskompetenz Gebrauch machen können (Art. 125b I GG).

 

VI.)  

Es ergibt sich daher folgende neue Normsetzungssystematik:

 

1.)   Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, gemäß Art. 73 I GG (z.B. Atomenergie).

 

2.)   Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder (z.B. Lärmimmissionen).

 

3.)   Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes, gemäß Art. 72 GG mit folgenden Differenzierungen:

 

a)     Erforderlichkeitsklausel, gemäß Art. 72 II GG; Abfall und Recht der Wirtschaft.

b)     Keine Bindung an die Erforderlichkeitsklausel und ohne Abweichungsmöglichkeit; Lärm und Luftreinhaltung; Umsetzung von EU-Normen.

c)      Keine Bindung an die Erforderlichkeitsklausel und mit eingeschränkten Abweichungsmöglichkeiten; Wasserecht, allgemeine Grundsätze des Naturschutzes.

d)     Keine Bindung an die Erforderlichkeitsklausel und mit unbeschränkten Abweichungsmöglichkeiten, gemäß Art. 72 III GG; Raumordnung.

 

4.) Verfahrensrecht, gemäß Art. 84 GG.

 

VII.)  

Des Weiteren wurde die Umsetzung von europäischen Richtlinien neu normiert.

In den in der Vergangenheit immer wieder eingetretenen Fällen der nicht rechtzeitigen, bzw. nicht vollständigen und/oder fehlerhaften Transformation von EU-Normen in Landesrecht und hierauf basierenden Strafgeldern des Europäischen Gerichtshofes, war fraglich wer diese in letzter Konsequenz zu zahlen hatte: Bund oder Land?

 

Soweit es um Landesgesetze geht, hat nunmehr eindeutig jedes betroffene Land die finanzielle Last zu tragen, gemäß Art. 104a VI GG.

 

VIII.)  

Das neue Regelungsgeflecht und die in diesem angelegten Kompetenzkonflikte haben daher zu einem geteilten Echo in der Fachliteratur geführt, welches überwiegend - wenn gleich in unterschiedlicher Schärfe - negativ ist (ZUR 2006, 337ff).

 

Zukünftige Konfliktfelder sind somit bereits jetzt absehbar, denn: Panta rhei! (Alles fließt!), wie bereits Heraklit 500 v. Chr. feststellte.

 

Ulf Linder  

- Rechtsanwalt -

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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