Deutsche Rentenversicherung Bund wegen verzögerter Antragsbearbeitung zu Schadensersatz verurteilt

Schaden, Versicherung und Haftpflicht
29.09.20123846 Mal gelesen
Die Deutsche Rentenversicherung Bund muss alle materiellen Schäden ersetzen, die einer Versicherten durch die verschleppte Bearbeitung ihres Antrags auf Bewilligung einer Umschulung zur Heilpraktikerin entstanden sind. Der Schaden wird hauptsächlich der entgangene Verdienst in dem neuen Beruf sein.

Dies hat das Kammergericht Berlin in einem Urteil vom 19.09.2012 - 6 U 172/11 entschieden. Nach den Feststellungen des Gerichts hätte dem Antrag mindestens 21 Monate eher stattgegeben werden können. Die Klägerin konnte deshalb nur mit erheblicher Verspätung in den neuen Beruf starten. Den dadurch erlittenen Verdienstausfall muss die DRV ersetzen.

Die Klägerin hatte aus gesundheitlichen Gründen ihren letzten Beruf aufgeben müssen und eine Umschulung beantragt. Die DRV fand während des gesamten Verfahrens zahlreiche Gründe zur Ablehnung des Antrages, ohne der Klägerin gleichzeitig einen anderen geeigneten Weg zur Wiedereingliederung in das Berufsleben aufzuzeigen.Die Klägerin setzte ihren Anspruch in jahrelangen Verfahren durch. Dabei erlitt sie eine wahre Odyssee:

Ursprünglich war sie gelernte Bürokauffrau, in diesem Beruf zwecks Pflege eines behinderten Kindes aber nur bis 1990 tätig. Erst 2002 war sie wieder berufstätig und arbeitete sie als Verkäuferin bei einem Lebensmitteldiscounter. Dabei musste sie vor allem auch im Kühlhaus schwere Waren bewegen und ständig Gewichte heben. Wegen orthopädischer Beschwerden gab sie 2005 auch diese Tätigkeit wieder auf.

Im Mai 2005 beantragte sie eine Umschulungsmaßnahme. Der Antrag wurde im Juni 2006 abgelehnt, weil die DRV der Ansicht war, dass sie weiterhin den Beruf der Bürokauffrau ausüben könne. Dabei übersah sie allerdings, dass die gesundheitlichen Einschränkungen nicht am Maßstab irgendeines jemals ausgeübten Berufs zu prüfen sind. Maßgeblich ist allein der zuletzt ausgeübte Beruf. In diesem Beruf (Verkäuferin im Lebensmitteldiscount) war die Klägerin gesundheitlich unstreitig beeinträchtigt. Die Klägerin verfolgte ihren Anspruch mit Rechtsmitteln weiter. Vor dem Sozialgericht wies sie darauf hin, dass sie im übrigen auch die Tätigkeit als Bürokauffrau oder Verwaltungsangestellte nicht mehr ausüben könne, da sie seit 18 Jahren in diesem Beruf nicht mehr gearbeitet habe und entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen bisher nicht stattgefunden haben.

Zwischenzeitlich bewilligte die DRV eine medizinische Kurmaßnahme. Der Entlassungsbericht der Klinik bestätigte, dass die Klägerin die letzte Tätigkeit als Lagerarbeiterin in einem Kühlhaus nur noch weniger als drei Stunden täglich ausüben könne. Aus ärztlicher Sicht werde eine Umschulung befürwortet. Daraufhin erkannte die DRV den Anspruch dahingehend an, dass sie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zunächst dem Grunde nach gewährte, ohne allerdings über das konkrete Berufsfeld zu entscheiden. Hierfür wurde der Reha-Fachdienst eingeschaltet. Dort teilte die Klägerin mit, dass sie eine Ausbildung zur psychotherapeutischen Heilpraktikerin anstrebe und bereits ein Unternehmenskonzept für eine Existenzgründung entwickelt habe. Die Reha-Fachberaterin befürwortete diese Wahl. Auch die Bundesagentur für Arbeit schloss sich diesem Vorschlag an. Die Verwaltungsabteilung lehnte die Zustimmung hierzu jedoch erneut ab. Die Ausbildung sei nicht "leidensgerecht.". Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und Anfechtungsklage. Im Rahmen einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung wurde bestätigt, dass der Beruf "Heilpraktiker" vertretbar sei. Tätigkeiten im Berufsbezug der Heilpraktikerin, vor allem bei bevorzugter psychotherapeutischer Ausrichtung seien möglich. Die Klägerin sei auch bezüglich des Tätigkeitsbereichs einer Heilpraktikerin gut informiert und ausbildungsmotiviert. Es half nichts. Die DRV blieb bei ihrer Haltung, dass die Umschulung zur Heilpraktikerin nicht geeignet sei, die Klägerin auf lange Zeit beruflich einzugliedern. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht wies der Vorsitzende Richter die Parteien auf folgendes hin:

"Die Auswahl geeigneter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben stehen grundsätzlich in Ermessen der Beklagten (der DRV), doch sind hierbei Eignung und Neigung der Versicherten angemessen zu berücksichtigen.

Die Klägerin begehrt mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten eine Umschulung zur Heilpraktikerin. Die hiergegen erhobenen Erwägungen der Beklagten sind ermessensfehlerhaft. Die angegriffenen Bescheide sind daher aufzuheben.

Zu Unrecht geht die Beklagte davon aus, dass die Klägerin den berufstypischen Anforderungen an eine Heilpraktikerin aus gesundheitlichen Gründen nicht gewachsen sei: Dem stehen nicht nur die schlüssigen und gut nachvollziehbaren Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. xxxxx  und Dr. yyyyy, sondern auch das von der Beklagten selbst in Auftrag gegebene Gutachten des Dr. zzzzz entgegen.

Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die Beklagte bislang keine hinreichenden Maßnahmen eingeleitet hat, um die Klägerin einer sachgerechten Leistung zur Teilhabe zuzuführen. Rein beispielhaft sie insofern auf die Bewilligung einer erweiterten Eignungsabklärung in einer 473 km vom Wohnort der Klägerin entfernten Einrichtung hingewiesen, an der die Klägerin als Pendlerin teilnehmen sollte. Durch diese Irrwege ist eine sachgerechte Unschulung der Klägerin unnötig verzögert worden.

Dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt einer Umschulung zur Heilpraktikerin entgegenstehen könnte, ist von der Beklagten bislang nicht geltend gemacht worden.

Es spricht daher einiges dafür, eine Umschulung zur Heilpraktikerin einzuleiten. Dabei sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin bereits fachnahe Lehrgänge erfolgreich abgeschlossen hat."

Darauf hin erkannte die DRV den Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe für eine Umschulung zur Heilpraktikerin an. Der Bewilligungsbescheid erging mit Datum 22.05.2009.

Für den Zeitraum der verzögerten Bearbeitung forderte die Klägerin Schadensersatz.

Die Schadenshöhe wird der entgangene Verdienst sein, den die Klägerin aufgrund der verzögerten Berufsaufnahme nicht erzielen konnte.

Kammergericht - Urteil vom 19.09.2012 - 6 U 172/11

  

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