Das Strafverfahren - Aufbau und Grundsätze

Das Strafverfahren - Aufbau und Grundsätze
24.09.20132410 Mal gelesen
Rechtsanwältin Dr. Stefanie Kunz beschreibt die Verfahrensstadien, die das Strafverfahren von der Einleitung der strafrechtlichen Ermittlungen bis zum rechtskräftigen Urteil durchläuft und vermittelt Grundsätze, die dem Betroffenen helfen, sich auf auf die Rolle als Beschuldigter einzustellen.

Das Strafverfahren - Aufbau und Grundsätze

Von Dr. Stefanie Kunz

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht, Düsseldorf

 

Das Strafverfahren

Grob vereinfacht ist das Strafverfahren die staatlich betriebene Sachaufklärung einer Straftat mit dem Ziel, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die an der Straftat beteiligt waren. Nach den gesetzlichen Vorgaben sollen die Ermittlungen objektiv geführt werden. Die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten sollen nicht nur nach belastenden Umständen und Tatsachen fahnden, sondern auch entlastende Fakten erforschen. In der Praxis liegt die Entlastung des Beschuldigten allerdings fast ausschließlich in den Händen der Verteidigung.

Nachfolgend präsentiert der Fachartikel einen kurzen Abriss über die einzelnen Stationen eines Strafverfahrens und einige ausgewählte Grundsätze.

Das Ermittlungsverfahren

Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren ein, sobald Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen. Im Ermittlungsverfahren prüft die Staatsanwaltschaft, ob der Anfangsverdacht begründet oder unbegründet ist. Zu diesem Zweck werden Zeugen vernommen, Wohn- und Geschäftsräume durchsucht, Schriftstücke, Dokumente, Urkunden, Tatwerkzeuge u.a. Gegenstände, die eine potentielle Beweisbedeutung haben können, sichergestellt oder beschlagnahmt. Falls Anlass dazu besteht, werden im Ermittlungsverfahren bereits Sachverständige mit der Begutachtung wesentlicher Tatfragen beauftragt. Weitere Ermittlungsmaßnahmen sind Telefonüberwachungen und Observationen. Soweit die Ermittlungsmaßnahmen in Grundrechte eingreifen, kann die Staatsanwaltschaft diese Maßnahmen nur ausnahmsweise selbständig anordnen. Grundsätzlich bedarf es der Anordnung durch den Amtsrichter.

Der Beschuldigte kann in die Ermittlungen eingreifen. Dies setzt allerdings voraus, dass er von den gegen ihn geführten Ermittlungen Kenntnis hat. Kenntnis von den Ermittlungen erhält der Beschuldigte im günstigen Fall durch eine schriftliche Aufforderung zur Beschuldigtenvernehmung, im ungünstigen Fall durch die Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume oder seine Verhaftung. Teilweise wird die Kenntnis von einem Ermittlungsverfahren auch über andere Tatbeteiligte vermittelt, bei denen bereits Ermittlungsmaßnahmen stattgefunden haben. Wann und auf welche Weise einem Beschuldigten die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft bekannt gegeben wird oder wann er auf andere Weise Kenntnis von seiner Beschuldigtenrolle erlangt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Teilweise sieht die Staatsanwaltschaft von einer frühen Bekanntmachung ab, weil sie Beeinträchtigungen des Ermittlungszweckes fürchtet. Die Staatsanwaltschaft besitzt ein gewisses Ermessen, wann sie den Beschuldigten während des Ermittlungsverfahrens informieren will. Dieses Ermessen endet mit der ersten Beschuldigtenvernehmung. Vor Beginn der Vernehmung muss der Beschuldigte jedoch zwingend über den Tatvorwurf aufgeklärt werden. Eine Informationspflicht besteht insbesondere auch bei Durchsuchungen und Verhaftungen. In der Praxis wird dem Beschuldigten regelmäßig vor Abschluss der Ermittlungen rechtliches Gehör gewährt. Das heißt, die Staatsanwaltschaft gibt dem Beschuldigten vor Anklageerhebung die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Staatsanwaltschaft schließt ihre Ermittlungen mit der Entscheidung ab, ob Anklage zu erheben oder ob das Verfahren einzustellen ist.

Wenn der Beschuldigte weiss, dass gegen ihn strafrechtlich ermittelt wird, kann er in die Ermittlungen eingreifen.

  • Er kann über seinen Verteidiger Akteneinsicht beantragen und zu den Tatvorwürfen eine Stellungnahme abgeben.
  • Er kann im Ermittlungsverfahren Zeugen und Beweismittel benennen, die für seine Unschuld streiten.
  • Er kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen.
  • Der Beschuldigte kann gegen Ermittlungsmaßnahmen, die in seine Rechte eingreifen Rechtsmittel einlegen.

Die Verteidigerin rät:

Agieren Sie nicht ohne Verteidiger! Verteidigung muss kompetent, d.h. in Kenntnis der Mechanismen des Strafprozesses und seiner Akteure durchgeführt werden, um erfolgreich sein zu können. Informationen aus dem Internet bieten nur eine grobe Auskunft und können Fachwissen und Praxiserfahrung nicht ersetzen.

Die Anklageschrift

Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage, wenn das Ermittlungsergebnis den Tatverdacht so hinreichend bestätigt hat, dass die Staatsanwaltschaft die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung annimmt und keinen Anlass sieht, das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen einzustellen.

Mit Eingang der Anklageschrift bei dem zuständigen Strafgericht erreicht das Strafverfahren das sog. Zwischenverfahren. Im Zwischenverfahren muss nun das Gericht entscheiden, ob die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet werden soll. Im Zwischenverfahren hat der Beschuldigte, der nun zum Angeschuldigten wird, weitere Möglichkeiten in das Strafverfahren aktiv einzugreifen.

Zunächst ist das Gericht verpflichtet, dem Angeschuldigten die Anklageschrift zu zustellen und ihm rechtliches Gehör zu gewähren. Der Angeschuldigte kann jetzt sog. Einwendungen gegen die Anklageschrift vorbringen und Beweisanträge stellen. Das Gericht bestimmt für die Stellungnahme eine Frist, die je nach Umfang und Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage verlängert werden kann.

Das Strafgericht eröffnet das Hauptverfahren, wenn die Prüfung der Anklageschrift und der Ermittlungsakten unter Einschluss der Stellungnahmen des Beschuldigten - regelmäßig durch Verteidigerschriftsätze - auch nach Ansicht des Gerichtes einen hinreichenden Tatverdacht begründet. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt, wenn das Gericht nach Aktenlage und unter Berücksichtigung der gegebenen Beweismöglichkeiten davon ausgeht, dass eine Hauptverhandlung zu einem Freispruch führen wird. In der Praxis ist die Prognose auf das Beweisergebnis der Hauptverhandlung oft nicht eindeutig möglich. In diesen Fällen entscheidet das Gericht, dass eine Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung durchgeführt werden muss und beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens. Im Zwischenverfahren werden nicht selten die Weichen für das Urteil gestellt. Eine Korrektur des oft sehr einseitigen Ermittlungsergebnisses, wie es in der Anklageschrift dargestellt ist, durch kompetente Darstellung der Sach- und Rechtslage vom Standpunkt der Verteidigung wirkt einer vorschnellen Meinungsbildug durch das Gericht entgegen.

Die Verteidigerin rät:

Bitte wenden Sie sich frühzeitig an einen kompetenten Strafverteidiger oder eine Strafverteidigerin. Um die Sach- und Rechtslage bewerten zu können, ist Sachverstand gefragt. Im Übrigen bekommen Sie als Angeschuldigter nur eine unvollständige Information über die Beweislage und die Ermittlungshandlungen. Denn Sie erhalten in keinem Stadium des Verfahrens Akteneinsicht. Akteneinsicht wird dem Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten nur über einen Verteidiger gewährt.

Das Hauptverfahren

Das Kernstück des Hauptverfahrens ist die Hauptverhandlung vor dem zuständigen Strafgericht. Die Hauptverhandlung findet regelmäßig öffentlich statt. Die Öffentlichkeit kann nur unter eng begrenzten Ausnahmebedingungen ausgeschlossen werden.

Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache und der Feststellung, dass der Angeklagte und sein Verteidiger erschienen sind. Danach wird der Angeklagte kurz zu seiner Person vernommen bevor der Staatsanwalt die Anklageschrift verliest. Im Anschluss folgt die Belehrung des Angeklagten über sein Recht, sich zur Sache zu äußern oder von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Zu ersten Konflikten kann es kommen, wenn die Vernehmung zur Person bereits Fragen enthält, die Auswirkungen auf den Schuld- und Strafausspruch haben können. In der Regel wird ein solcher Konflikt aber schnell gelöst.

Entscheidet sich der Angeklagte - nach rechtsanwaltlicher Beratung - zur Sache, d.h. zu dem Tatvorwurf, Stellung zu nehmen, kann er nun seine Erklärungen abgeben. Entscheidet er sich, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, erfolgt die Sachaufklärung durch Erhebung der sonstigen vorhandenen Beweismittel, also durch Zeugenvernehmungen, Sachverständigengutachten, Verlesung von Urkunden und Inaugenscheinnahme von Gegenständen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben das Recht bis zur Urteilsverkündung Beweisanträge zu stellen. Das Beweisantragsrecht ist jedoch zeitlich begrenzt. Verspätete Beweisanträge kann das Gericht zurückweisen. Der schweigende Angeklagte kann jederzeit bis zur Urteilsverkündung seine Entscheidung ändern und Angaben zur Sache machen. Es ist jedoch Vorsicht geboten, dass es nicht zu Teileinlassungen und damit zu einem Teilschweigen kommt, welches als Beweis gegen den Angeklagten gewürdigt werden darf.

Über das Ergebnis der Hauptverhandlung entscheidet nicht nur der tatsächliche Aussagewert der erhobenen Beweise. Es sind darüber hinaus strafprozessuale Regelungen zu beachten, die beispielsweise bestimmen, ob ein Beweis überhaupt erhoben werden darf, ob Verwertungsverbote bestehen und wie das Gericht den Beweis zu würdigen hat. Ferner sind der Umgang der Prozessbeteiligten miteinander, die Besetzung des Gerichts, Fragerechte, Belehrungsrechte und Verfahrensabläufe strafprozessual geregelt. Die Hauptverhandlung kann zum Beispiel nicht unbegrenzt unterbrochen werden. Die Gerichtsbesetzung ist dem Angeklagten bzw. seinen Verteidigern rechtzeitig bekannt zu geben. Es dürfen keine Suggestivfragen gestellt werden. Zeugen dürfen nicht eingeschüchtert werden. Richter und Staatsanwälte müssen sich gegenüber dem Angeklagten und den Zeugen und Sachverständigen objektiv verhalten. Bei Zweifeln an der Objektivität der Richter, besteht das Recht zur Ablehnung wegen Befangenheit. Wichtig ist die Kenntnis, welche Verstöße gegen die Strafprozessordnung während der Hauptverhandlung rechtzeitig durch die Verteidigung gerügt werden müssen, damit sie bei einer eventuellen späteren Revision gegen das Urteil durch das Revisionsgericht beachtet werden können.

Das Hauptverfahren endet regelmäßig mit einem Urteil, dass entweder auf Freispruch oder Verurteilung lautet. Ein Urteil ist aber nicht zwingend. Das Hauptverfahren kann auch durch eine Verfahrenseinstellung beendet werden.

Das Rechtsmittelverfahren: Berufung / Revision

Gegen das erstinstanzliches Urteil eines Amtsgerichts kann entweder Berufung oder (Sprung-)Revision eingelegt werden. Gegen das Berufungsurteil steht das weitere Rechtsmittel der Revision zur Verfügung. Urteile der Landgerichte können nur mit der Revision angefochten werden.

Während die Berufung nicht schriftlich begründet werden muss, ist für die Revision die schriftliche Begründung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zwingend vorgeschrieben.

In der Revision wird der Tatvorwurf nicht neu verhandelt. Das Revisionsgericht überprüft lediglich das angegriffen Urteil auf materielle und rechtliche Fehler. Der Strafrechtler spricht von der Sachrüge und den Verfahrensrügen. Erst wenn die Revision durchgreift kann über den Tatvorwurf neu verhandelt werden.

Der Angeklagte kann die Revision nicht selbständig begründen. Die Revisionsbegründung muss durch einen Rechtsanwalt erfolgen.

Der rechtskräftige Abschluss des Strafverfahrens

Das Verfahren endet mit einem rechtskräftigen Urteil oder der endgültigen Verfahrenseinstellung. Die Rechtskraft eines Urteils tritt ein, wenn das Urteil nicht innerhalb der Rechtsmitteleinlegungsfrist durch Berufung oder Revision angefochten wird. Vor Eintritt der Rechtskraft können die ausgesprochen Strafen und Sanktionen (z.B. Verfall, Einziehung) nicht vollstreckt werden. Allerdings können aus Sicherungszwecken vorläufige Maßnahmen wie Untersuchungshaft, Beschlagnahme und dinglicher Arrest angeordnet bzw. aufrecht gehalten werden.

Die Strafvollstreckung

Erst nachdem das Urteil rechtskräftig geworden ist, kann die Strafe vollstreckt werden. Wenn Sie mit einer Freiheitsstrafe rechnen müssen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, sollten Sie sich rechtzeitig auf den Freiheitsentzug vorbereiten. Ihr Strafverteidiger wird Sie bei der Vorbereitung unterstützen.