Das Geschäft mit der Wahrheit - Verständigung oder Deal im Strafprozess bzw. Strafverfahren

Strafrecht und Justizvollzug
03.02.2011987 Mal gelesen
Vermeintliche Prozessökonomie gegen Unschuldsvermutung

Die Verständigung im Strafverfahren, auch als "deal" bezeichnet, ist die Absprache im Strafprozess, durch welche die Rechtsfolgen einer Tat zwischen den Beteiligten abgestimmt werden sollen. Böswillige nennen es "Mauschelei", andere nennen es "Handel mit Gerechtigkeit". Im Strafprozess ist der Zugang zur sogenannten Gerechtigkeit mangels vergleichbarer Regelungen wie der Prozesskostenhilfe der ZPO oft leider von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Beschuldigten abhängig. Denn erst mit anwaltlicher Vertretung kann der Beschuldigte seine Rechte effektiv wahrnehmen - und dies muß er, da ihm die Strafverfolgungsbehörden keine Wahl lassen. Er ist kein autonom agierender Verhandlungspartner, sondern steht unter Zwang und muß angesichts der scharfen Instrumente der Strafjustiz belehrt, beraten und verteidigt werden.

Die Verständigung ist also kein wirklicher Handel, sondern ein Kompromiß in einem verkürzten Strafverfahren, das sich nicht mehr mit einer langwierigen Suche nach der Wahrheit aufhält, sondern dem Beschuldigten das Angebot einer erheblichen Straferleichterung macht, das der kaum ausschlagen kann. Das Opfer ist das verfassungsmäßig verankerte Schuldprinzip auf dem Altar der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege. Das Schuldprinzip verbietet grundsätzlich eine Verurteilung ohne eine feste und stabil gewachsene Überzeugung des Strafgerichts von der Schuld des Verurteilten - im Zweifel für den Angeklagten. Der Beschuldige kann sich aus vielen Gründen, die dem Gericht verborgen bleiben, schuldig bekennen, angesichts weitreichender finanzieller und sozialer Belastungen.

In den USA ist das Gericht lediglich der Schiedsrichter zwischen zwei Parteien, die sich bekanntermaßen regelmäßig vorab per "deal" einigen. Dies ist der deutschen Rechtsordnung fremd, in der die Staatsanwaltschaft als umfassend aufklärende Behörde dem Verteidiger des Angeklagten als formell gleichberechtigtes Rechtspflegeorgan gegenüberstehen soll. In Deutschland obliegt dem Gericht eine eigene Aufklärungsfunktion sowie die Urteilsfindung, ohne hierbei an Anträge der Verfahrensbeteiligten gebunden zu sein. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zeigen lediglich eine von den Strafverfolgungsbehörden ermittelte Tendenz, die Anlaß für eine Anklageerhebung sein kann. Diese hat die Hauptverhandlung insbesondere durch die Beweisaufnahme auf ihre Wahrhaftigkeit zu prüfen. Erst hier erhalten der Angeklagte, die Zeugen und Geschädigten Gesicht. Das erkennende Gericht hat seine Überzeugung stets aus der mündlichen Verhandlung zu gewinnen, die regelmäßig eine eigene Dynamik entwickelt, die eine Neubewertung des durch die Ermittlungsakten gewonnenen Sachverhalts möglich machen kann.

Die Verständigung optimiert jedoch lediglich die Effizienz der Strafrechtspflege was den Verfahrensabschluß angeht und verwandelt den Prozess in einen Ablasshandel, der bereits dann greift, sobald der Beschuldigte sich dem Druck des Strafverfahrens mit entsprechend hoher, verständigungsgeeigneter Strafandrohung ausgesetzt sieht. Flankiert wird dies durch eine breite unkritische Öffentlichkeit und veröffentlichte Meinung, die aus Gründen der Ökonomie Daten von Verkehrsleitsystemen auch zur Strafverfolgung nutzen will, großflächige ungerichtete Kameraüberwachung befürwortet,  vorverurteilt, das Schweigen des Angeklagten als Schuldeingeständnis wertet und den Strafverteidiger als Komplizen des Täters deklariert - mit dem Argument, der rechtschaffene Bürger habe ja nichts zu verbergen.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im DAV.

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