Bundesverfassungsgericht: Versicherungsnehmer ist nicht verpflichtet, eine umfassende Schweigepflichtentbindung zu erteilen

Versicherungsrecht
16.11.20062101 Mal gelesen
Das Bundesverfassungsgericht hat ein wegweisendes Urteil zur Schweigepflichtentbindung gefällt, das sicherlich viele Diskussionen auslösen wird.
Was war geschehen? Eine Versicherungsnehmerin war berufsunfähig geworden und stellte Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ). Der Versicherer berief sich auf § 4 Abs. 2 der Versicherungsbedingungen, wonach der Versicherte seine Ärzte, Krankenhäusern etc. von der Schweigepflicht entbinden muss.
Gestützt auf diese Regelung verlangte der Versicherer, dass ihn die Versicherungsnehmerin ermächtigt,
 
"von allen Ärzten, Krankenhäusern und Krankenanstalten [.] und von Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträgern, Behörden, derzeitigen und früheren Arbeitgebern sachdienliche Auskünfte einzuholen."
 
Die Versicherungsnehmerin lehnte diese umfassende Schweigepflichtentbindung ab. Sie bot dem Versicherer an, Einzelermächtigungen für jedes Auskunftsersuchen abzugeben. Der Versicherer berief sich sodann auf eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung und lehnte jegliche Leistungen aus dem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag ab.
Landgericht, Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof wiesen die daraufhin von der Versicherungsnehmerin erhobene Klage ab.
Erst vor dem Bundesverfassungsgericht bekam die Versicherungsnehmerin Recht. Auf eine derart umfassende Schweigepflichtentbindung hat der Versicherer keinen Anspruch, wenn er nicht Alternativen nennt, wie die Versicherungsnehmerin ihre Auskunftspflicht ebenfalls erfüllen kann. Hierzu gehören beispielsweise die bereits angebotenen Einzelermächtigungen. Auch könnte der Versicherer dem Versicherten die Möglichkeit einräumen, die Informationen selbst zu beschaffen. Außerdem könne eine Widerspruchsmöglichkeit gewährt werden. Sollten bei diesen Alternativen Mehrkosten entstehen, dürften diese auf den Versicherten umgelegt werden.
Die Sache wurde daher zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 23.10.2006, AZ: 1 BvR 2027/02
Dr. Finzel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht