Bundesverfassungsgericht: Derzeitiges Erbschaftssteuerrecht ist verfassungswidrig

Erbschaft Testament
31.01.20071828 Mal gelesen


Die durch § 19 Abs. 1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschafts- und Schenkungssteuer mit einheitlichen Steuersätzen trotz unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einer heute veröffentlichten Entscheidung (Az 1 BvL 10/02).

Zum rechtlichen Hintergrund:


Sofern keine Geldsummen vererbt oder verschenkt werden, ist die Umrechnung in ei-nen Geldwert erforderlich, um eine Bemessungsgrundlage für die Besteuerung zu ha-ben. Diese Umrechnung richtet sich derzeit nach dem Bewertungsgesetz, das je nach Vermögensart unterschiedliche Bewertungsverfahren vorschreibt.

Der Wert des Betriebsvermögens etwa wird nach dem Steuerbilanzwert festgelegt. Die-ser Steuerbilanzwert stimmt nur in wenigen Ausnahmefällen mit dem Verkehrswert ei-nes Unternehmens überein. Die Wahl der Abschreibungsmethoden oder die Bildung stiller Reserven und die Außerachtlassung immaterieller Vermögenswerte wie dem Fir-menwert führen zu einem u.U. erheblich geringeren Buchwert des Betriebes gegenüber seinem Verkehrswert. Die Höhe der Erbschaftssteuer von Betriebsvermögen ist also derzeit in hohem Maße davon abhängig, ob und in welchem Umfang der Erblasser Bi-lanzpolitik betrieben hat - im Ergebnis ist sie willkürlich.

Auch bei der erbschaftssteuerlichen Bewertung von Grundvermögen kommt es zu er-heblichen Abweichungen gegenüber dem Verkehrswert: Bei bebauten Grundstücken wird das vereinfachte Ertragswertverfahren angewandt, was zu einer Bewertung zwi-schen 20 und 100 % (!), durchschnittlich etwa 50 % des Verkehrswertes führt.

Trotz dieser unterschiedlichen Bewertungsmethoden, die in der Regel zu willkürlichen Ergebnisse führen, wird vom Erbschaftssteuergesetz gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG ein einheitlicher Steuertarif vorgeschrieben. Der Bundesfinanzhof hatte dem Bundesverfas-sungsgericht daher die Frage vorgelegt, ob die Anwendung eines einheitlichen Steuer-tarifs trotz unterschiedlicher Bewertungsverfahren verfassungswidrig ist. Im Ausgangs-verfahren hatten die Parteien darüber gestritten, wie ein Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einer Eigentumswohnung erbschaftssteuerrechtlich zu bewerten sei.

Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts:


Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG, dass sich die Werte, die für die Steuerbemessungsgrundlage heran gezogen werden, einheitlich an dem sog. gemeinen Wert, also am Verkehrswert orien-tieren. Dieses Ergebnis müssen die Bewertungsmethoden laut jetziger Entscheidung dementsprechend gewährleisten, alle Vermögensgegenstände müssten "in einem An-näherungswert an dem gemeinen Wert erfasst werden".

Hat der Gesetzgeber Bewertungsregelungen getroffen, die diesen Anforderungen ge-nügen, kann er in einem nächsten Schritt lenkend eingreifen, etwa durch Verscho-nungsregelungen, Freibeträge, etc. Erst auf dieser Ebene kann er also u.U. regeln, dass bebaute Grundstücke nur mit 50 % ihres Verkehrswertes anzusetzen sind, um Investitionsanreize zu schaffen und die Bau- und Wohnungswirtschaft positiv zu beein-flussen.

Die Auswirkungen auf die Praxis:


Zunächst können sämtliche Steuerbescheide, die wegen der Vorlage an das Bundes-verfassungsgericht mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen waren, nun bestandskräf-tig werden. Es ist ein entsprechender Antrag bei Ihrem Finanzamt zu stellen, um sicherzustellen, dass nicht etwa aus anderen Gründen von der Steuerfestsetzung noch negativ abgewichen wird.

Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, spätestens bis zum 31.12.2008 eine Neuregelung zu treffen; bis dahin ist das derzeitige Recht weiter anwendbar. Er wird eine einheitliche Bewertung vorschreiben müssen - was voraussichtlich dazu führen wird, dass etwa Grundvermögen wesentlich höher zu bewerten sein wird. Allerdings bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass die Erbschaftssteuer für Grundstücke und Immobi-lien deshalb steigen wird - der Gesetzgeber kann bei Vorliegen ausreichender Lenkungsgründe die Freibeträge entsprechend anpassen, Verschonungsrege-lungen treffen oder Differenzierungen beim Steuersatz einführen. Es ist also da-von auszugehen, dass es sich auch in Zukunft jeder leisten können wird, etwa ein Familienwohnheim zu erben.

Für alle Schenkungsverträge, die bereits vor dieser Entscheidung abgeschlossen wurden, gilt die alte Besteuerung, ebenso natürlich für die Erbvorgänge. Sollte sich abzeichnen, dass die Neuregelung eine höhere Besteuerung für einzelne Vermö-genswerte, wie etwa den Grundbesitz, vorsieht, sollten geplante Schenkungen noch vor Inkrafttreten vereinbart und vollzogen werden (sollte das Gesetz allerdings eine Rückwirkung vorsehen, könnten auch alle jetzigen Erwerbsvorgänge schon von der neuen Besteuerung erfasst werden). Wer mit einer Zuwendung im Wege der Schenkung oder vorweggenommenen Erbfolge nicht warten möchte, kann in den Schenkungsvertrag einen Rücktrittsvorbehalt einbauen, der sicherstellt, dass im Fall einer günstigeren Neuregelung der Vertrag aufgehoben und anschließend neu geschlossen werden kann.

Verfasserin: Rechtsanwältin Dr. Annette Wittmütz