Brauchen wir eine Anti-Stress-Verordnung?

Brauchen wir eine Anti-Stress-Verordnung?
11.09.2014365 Mal gelesen
Die Bundesregierung plant unter der Federführung des Arbeitsministeriums eine sog. Anti-Stress-Verordnung. Konkrete Vorschläge hierzu sollen folgen. Ziel sei es, Arbeitnehmer vor Überforderung und Stress durch permanente Erreichbarkeit zu schützen.

Die Bundesregierung plant unter der Federführung des Arbeitsministeriums eine sog. Anti-Stress-Verordnung. Konkrete Vorschläge hierzu sollen folgen. Ziel sei es, Arbeitnehmer vor Überforderung und Stress durch permanente Erreichbarkeit zu schützen. Aber brauchen wir, um dieses sinnvolle Ziel zu erreichen wirklich eine neue Verordnung oder ein neues Gesetz?

Das Arbeitsrecht kennt hinsichtlich der Arbeitszeit bereits genaue und zum Teil auch recht rigide Vorgaben. So regelt das ArbZG, dass grundsätzlich pro Arbeitstag nicht mehr als 8 Stunden gearbeitet werden darf. In Ausnahmefällen kann die Arbeitszeit auf 10 Stunden verlängert werden, wenn über einen Zeitraum von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden nicht überschritten werden. Nach der Beendigung der Arbeitsleistung steht dem Arbeitnehmer eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden bis zur erneuten Arbeitsaufnahme zu. Auch diese kann nur in Ausnahmefällen verlängert werden. Dies setzt zudem voraus, dass jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens 12 Stunden ausgeglichen wird. Das ArbZG legt daneben verbindliche Pausen für Arbeitnehmer fest. Diese müssen im Voraus feststehen und bei einer Arbeitszeit von 6 bis zu 9 Stunden 30 Minuten und bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden mindestens 45 Minuten betragen. 

An Sonn- und Feiertag besteht grundsätzlich ein Arbeitsverbot. Dieses wird allerdings durch zahlreiche Sondervorschriften aufgeweicht.

Verstöße gegen die Vorschriften des ArbZG sind Ordnungswidrigkeiten bzw. ggf. sogar Straftaten. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen und die Nachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Bei einer behördlichen Kontrolle muss der Arbeitgeber damit umfangreiche Arbeitszeitdokumentationen vorweisen können.

Beim ArbZG handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Vorschrift. Hiervon zu unterscheiden ist das individualvertragliche Verhältnis. Dem Arbeitgeber steht gem. § 106 GewO grundsätzlich ein Weisungsrecht bzgl. der Arbeitszeit zu. Dieses ist allerdings durch etwaige vertragliche Festlegungen begrenzt. Sieht der Arbeitsvertrag oder ein Tarifvertrag eine 38-Stunden-Woche vor, ohne gleichzeitig eine Pflicht zur Leistung von Mehrarbeit zu regeln, ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers insofern begrenzt. Die meisten Arbeitsverträge ermöglichen dem Arbeitgeber allerdings Mehrarbeit anzuordnen. Diese ist dann grundsätzlich zu vergüten, sofern sich keine wirksame Abgeltungsklausel im Arbeitsvertrag findet. Ordnet der Arbeitgeber mehr Stunden an als das ArbZG eigentlich erlaubt, begeht er eine Ordnungswidrigkeit bzw. ggf. eine Straftat. Das arbeitgeberseitige Weisungsrecht wird damit durch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften quasi eingefangen.

Die Bundesregierung hat mit ihrem Vorhaben zu einer Anti-Stress-Verordnung offenbar insbesondere die, durch die modernen Kommunikationsmittel bedingte, praktisch jederzeitige Erreichbarkeit im Visier. Es soll verhindert werden, dass Arbeitnehmer nach Feierabend noch Mails abrufen oder bearbeiten oder mobil für den Arbeitgeber erreichbar sind. Die durch eine solche ständige Erreichbarkeit entstehenden psychischen Belastungen sind in der Tat nicht zu unterschätzen. Wer in der ständigen Angst lebt, auch nach Feierabend eine wichtige Mail von Kunden oder dem Chef zu verpassen, kann nicht abschalten und sich erholen.

Allerdings sind die rechtlichen Vorgaben diesbezüglich bereits durchaus klar. Wer nach Feierabend noch Mail bearbeiten muss, erbringt damit seine Arbeitsleistung. Folglich wird auch die vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden unterbrochen. Diese beginnt dann erst mit Abschluss der Bearbeitung neu zu laufen. Bei einem erneuten Arbeitsbeginn am nächsten morgen werden die erneuten 11 Stunden Ruhezeit kaum einzuhalten sein. Der Arbeitgeber verletzt damit regelmäßig seine öffentlich-rechtlichen Pflichten aus dem ArbZG. Gleiches gilt bei der dauerhaften Anordnung von mehr als 8 Arbeitsstunden täglich oder bei Nichtgewährung der Pausenzeiten.

In der Praxis liegen die Fälle allerdings zumeist so, dass sich Arbeitnehmer abends noch mehr oder weniger freiwillig um Mails kümmern, weil sie davon ausgehen, dass dies verlangt oder zumindest erwünscht ist. Es entsteht dann ein psychologischer Druck, der faktisch eine erhebliche Belastung mit sich bringen kann. 

Das praktische Problem liegt darin, dass sich kaum Arbeitnehmer gegen Verstöße des Arbeitgebers gegen das ArbZG zur Wehr setzen aus Angst in Ungnade zu fallen. Es gilt das Prinzip: Wo kein Kläger, da kein Richter. Die zuständigen Behörden kommen mit ihren Kontrollen nicht hinterher.

Bedeutender als wieder mal eine neue Verordnung zu schaffen, wäre daher zunächst mehr dafür zu tun, dass die schon bestehenden Regelungen des ArbZG auch eingehalten werden. Zudem sollten Arbeitnehmer jede geleistete Überstunde dokumentieren und ggf. deren Vergütung verlangen.

Mittlerweile haben auch viele Arbeitgeber erkannt, dass eine zu hohe Belastung der Arbeitnehmer für sie mehr Nachteile als Vorteile bringt. Auch sind Gewerkschaften und Betriebsräte an dieser Stelle ebenso wie Arbeitgeberverbände gefordert, für interessengerechte Lösungen zu sorgen.

Das Problem, dass Arbeitnehmer hohe Belastungen, insbesondere um der Karriere willen, hinnehmen, wird der Gesetzgeber nicht beseitigen können. Es bleibt abzuwarten, wie die für das nächste Jahr angekündigten Vorschläge aussehen werden.


Rechtsanwalt Dr. Christian Velten, Gießen - Arbeitsrecht

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