BGH beschränkt Haftung wegen Filesharing durch Mitbewohner, Besucher und Gäste

BGH beschränkt Haftung wegen Filesharing durch Mitbewohner, Besucher und Gäste
14.05.2016289 Mal gelesen
Der BGH hat am 12.05.2016 u.a. entschieden, dass ein Anschlussinhaber nicht für Filesharing volljähriger Mitbewohner, Besucher oder Gäste haftet. Ohne konkreten Anlass für einen Missbrauch treffen den Anschlussinhaber keine Belehrungs- und Überwachungspflichten für Besucher, Gäste und Mitbewohner.

Der BGH entschied am 12.05.2016 über insgesamt sechs Klagen wegen Filesharing (Film, Musik, Computerspiel).

1. - 3 Fall (Filme): Filesharing-Klagen auf Schadensersatz (600 EUR) und Abmahnkosten (bis zu 1.005,40 EUR)

Die Kläger in diesen BGH-Verfahren sind Inhaber von Rechten an verschiedenen Filmen. Sie nahmen Anschlussinhaber wegen des Angebots von Filmen in Tauschbörsen über ihren Internetanschluss auf Schadensersatz (jeweils 600 EUR) und Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. Die Abmahnkosten waren nach einem Gegenstandswert von 10.000 EUR (506 EUR) bzw. 30.000 EUR (1.005,40 EUR) berechnet.

Vorinstanz: 600 EUR Schadensersatz, aber nur geringe Abmahnkosten

Die Vorinstanz verurteilte die Anschlussinhaber zwar jeweils zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 600 EUR, jedoch nur zur Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 130,50 EUR. Den Gegenstandswert der Abmahnung bezifferte die Vorinstanz (nur) auf das Doppelte des Schadensersatzes, also auf nur 1.200 EUR (anstatt 30.000 EUR bzw. 10.000 EUR).

BGH: Filesharing-Abmahnkosten richten sich nach Aktualität und Popularität des Filmes

Der BGH hob die Urteile des Landgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz könne nicht ausgegangen werden, dass der Gegenstandswert einer Filesharing-Abmahnung sich stets nur auf das Doppelte des Schadensersatzes beziffere. Vielmehr sei der Gegenstandswert zur Berechnung der Abmahnung Art nach dem Interesse der Rechteinhaber an der Unterlassung zukünftiger Urheberrechtsverletzungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.

Eine schematische Bemessung des Gegenstandswerts werde nicht dem Umstand gerecht, dass die zukünftige Bereitstellung eines Filmes in einer Tauschbörse nicht nur die Lizenzierung des Filmes, sondern seine kommerzielle Auswertung insgesamt zu beeinträchtigen droht. Die hiernach für die Bemessung des Gegenstandswerts erforderlichen tatsächlichen Feststellungen - etwa zum wirtschaftlichen Wert des verletzten Rechts, zur Aktualität und Popularität des Werks, zur Intensität und Dauer der Rechtsverletzung sowie zu subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers - hat das Landgericht bislang nicht getroffen.

4. Fall (Computerspiel): Filesharing-Klage auf Abmahnkosten (1.005,40 EUR)

Die Klägerin in diesem Klageverfahren war Inhaberin von Rechten an einem Computerspiel. Sie verlangt von einem Anschlussinhaber wegen des Anbietens des Computerspiels in einer Tauschbörse über seinen Internetanschluss Abmahnkosten in Höhe von 1.005,40 EUR (berechnet nach einem Gegenstandswert von 30.000 EUR).

Vorinstanz: Nur geringe Abmahnkosten wegen Filesharing

Das Landgericht verurteilte den Anschlussinhaber zur Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 192,90 EUR. Auch hier nahm das Landgericht an, der Gegenstandwert für die Abmahnung beziffere sich (nur) auf das Doppelte des erstattungsfähigen Lizenzschadensersatzes (vorliegend also auf 2.000 EUR).

BGH: Filesharing-Abmahnkosten richten sich nach Aktualität und Popularität des Computerspiels

Da der BGH eine schematische Bemessung des Gegenstandswertes aus vorgenannten Gründen ablehnt, hob er auch dieses Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück.

5. Fall (Musik): Filesharing-Klage auf Schadensersatz und Abmahnkosten wegen Filesharing von 809 Audiodateien

Die Klägerinnen in diesem Verfahren sind führende deutsche Tonträgerherstellerinnen. Sie verklagten einen Anschlussinhaber wegen des Anbietens von 809 Audiodateien in einer Tauschbörse auf Schadensersatz und Abmahnkosten. Der Anschlussinhaber bestritt die Aktivlegitimation der Klägerinnen, die Richtigkeit der Ermittlungen sowie seine Täterschaft. Er verwies darauf, dass auch seine Ehefrau und seine damals 15 und 17 Jahre alten Kinder Zugriff auf die im Haushalt genutzten Computer mit Internetzugang gehabt hätten.

Vorinstanz: Anschlussinhaber auf Schadensersatz und Abmahnkosten verurteilt

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten bis auf einen Teil der Abmahnkosten antragsgemäß verurteilt.

BGH: Anschlussinhaber hat Anscheinsbeweis nicht ausreichend widerlegt

Der BGH wies die Revision des Anschlussinhabers im Wesentlichen zurück. Auch nach Ansicht des BGH haftet der Anschlussinhaber für die öffentliche Zugänglichmachung der Musikaufnahmen über seinen Internetanschluss. Das Berufungsgericht habe nach Durchführung der Beweisaufnahme zu Recht angenommen, die Ehefrau des Anschlussinhabers scheide als Täterin aus. Der Anschlussinhaber habe nicht hinreichend konkret dazu vorgetragen, dass seine Kinder ernsthaft als Täter der Urheberrechtsverletzung in Betracht kommen.

6. Fall (Film): Filesharing-Klage auf Abmahnkosten (755,80 EUR)

Die Klägerin in diesem Verfahren ist Inhaberin der ausschließlichen Verwertungsrechte an dem Film "Silver Linings Playbook". Sie verklagte einen Anschlussinhaber wegen des unerlaubten Anbietens des Filmes in einer Tauschbörse über seinen Internetanschluss auf Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 755,80 EUR. Der Anschlussinhaber machte jedoch geltend, seine in Australien lebende Nichte und deren Lebensgefährte hätten anlässlich eines Besuchs mithilfe des ihnen überlassenen Passworts für den WLAN-Router die Urheberrechtsverletzung begangen.

Vorinstanz: Verurteilung zur Zahlung von Abmahnkosten

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Das Landgericht verurteilte den Anschlussinhaber, da er die Nichte und dessen Lebensgefährten nicht belehrt habe.

BGH: Anschlussinhaber muss volljährige Besucher und Mitbewohner nicht belehren

Der Bwies die Klage ab. Er schloss sich der Ansicht des Amtsgerichts an, dass der Anschlussinhaber nicht als Störer wegen von seiner Nichte und deren Lebensgefährten begangener Urheberrechtsverletzungen hafte. zwar habe der Anschlussinhaber seine Nichte und deren Lebensgefährten nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Tauschbörsen belehrt. Mangels konkreter Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Internetanschlusses sei dem Anschlussinhaber eine solche Belehrung aber nicht zumutbar. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.

BGH, Urteile vom 12.05.2016 (I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 43/15, I ZR 44/15, I ZR 48/15, I ZR 86/15)

Quelle: PM des BGH vom 12.05.2016

Fazit der BGH Filesharing Urteile vom 12.05.2016

1. Weitere Einschränkung der Haftung des Anschlussinhabers wegen Filesharing durch Dritte

Der BGH schränkt die Haftung des Anschlussinhabers für Filesharing Dritter weiter ein. Nach nunmehriger höchstrichterlicher Rechtsprechung haftet der Anschlussinhaber, ohne konkreten Anlass für einen Missbrauch seines Internetanschlusses nicht für
- Lebenspartner,
- volljährige Kinder,
- minderjährige Kinder, wenn er sie belehrt hat,
- volljährige Untermieter, Mitbewohner, Gäste und Besucher

2. Abmahnkosten wegen Filesharing richten sich nach Aktualität und Beliebtheit des Werkes

Zudem erteilt der BGH der schematischen Berechnung des Gegenstandswertes und somit der Abmahnkosten eine klare Absage. Dies gilt sowohl für ein Ausschlagen nach "oben" und "unten". Auch die Rechteinhaber können nun nicht mehr pauschal darauf verweisen, dass für "Filme" ein Gegenstandswert von 10.000 EUR oder gar 30.000 EUR stets angemessen ist.Vielmehr kommt es auf den Wert des Filmes, insbesondere dessen Aktualität und Beliebtheit an. Entsprechendes gilt für Musik und Computerspiele. Filme, Musik oder Computerspiele, die am Markt keinen Absatz finden, rechtfertigen sicher keine Gegenstandswerte von 10.000 EUR oder gar 30.000 EUR. Aufgrund der Ablehnung der schematischen Berechnung des Gegenstandswertes ist es nunmehr an den Rechteinhabern, zum "Wert" des betroffenen Werkes (Film, Musik, Computerspiel) konkret vorzutragen und diesen Vortrag im Zweifel zu beweisen.