Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung – Kann die Veranlagung zu einer Gefahrklasse rückwirkend geändert werden?

Soziales und Sozialversicherung
07.02.20171664 Mal gelesen
Unternehmer, denen die Beitragsforderungen ihrer Berufsgenossenschaft zu hoch erscheinen, weil sie die Veranlagung zu der Gefahrtarifstelle beanstanden, haben nur begrenzte Möglichkeiten, eine rückwirkende Änderung der Veranlagung durchzusetzen.

Denn die Entscheidungen der Berufsgenossenschaften über die Veranlagung zum Gefahrtarif und die jährliche Festsetzung des Unfallversicherungsbeitrages erfolgen in mehreren Stufen. Auf jeder Stufe werden rechtswirksame Entscheidungen getroffen, die ggf. gesondert angefochten werden müssen.

Die Berufsgenossenschaft setzt zunächst einen Gefahrtarif als autonomes Recht fest. Dieser kann von den Sozialgerichten nur eingeschränkt überprüft werden. Der Gefahrtarif enthält die Gewerbezweige bzw. Unternehmensarten, für die die jeweilige Berufsgenossenschaft zuständig ist. Jedem Gewerbezweig ist eine Gefahrklasse zugeordnet. So enthält z.B. der Gefahrtarif der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) ab 2012 u.a. so unterschiedliche Gewerbezweige, wie

  • Bauwerksbau (Hoch-, Brücken-, Tunnel- u. Gerüstbau, Dach- u. Zimmererarbeiten u. a.) Gefahrklasse 15,12
  • Spezialtiefbau (Brunnenbau u. a.), Gefahrklasse 11,06
  • Abbruch und Entsorgung (Betontrenntechniken, Sprengungen u. a.), Gefahrklasse 20,74
  • Boots- und Schiffsbau, Gefahrklasse 8,51

Die Berufsgenossenschaft veranlagt jedes Unternehmen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu einem Gewerbezweig und damit auch zu einer Gefahrklasse. Die Gefahrklasse ist ein Faktor in der Beitragsformel und bestimmt damit maßgeblich die Höhe der Beiträge.

Die Entscheidung über die Veranlagung ergeht durch einen gesonderten Bescheid. Eine Beitragsfestsetzung ist darin nicht enthalten. Der Veranlagungsbescheid kann ggf. mit Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht angefochten werden. Akzeptiert das Unternehmen die Veranlagung, wird dieser Bescheid jedoch bestandskräftig und damit bindend. Ein späterer Beitragsbescheid kann dann grundsätzlich nicht mehr mit dem Argument angefochten werden, dass die Veranlagung zu einer Gefahrklasse fehlerhaft ist.

Eine Veranlagung kann fehlerhaft sein, weil z.B. die Zuordnung eines Unternehmens zu einem Gewerbezweig nicht eindeutig ist. Ein Unternehmen der Brandschadenssanierung, das im sich im Wesentlichen auf die Innensanierung (Beseitigung von Bauschutt, Abriss von Tapeten, Entsorgung verbrannter Einrichtungsgegenstände etc.) beschränkt, fällt zwar begrifflich vielleicht unter "Abbruch und Entsorgung," hat nicht das gleiche Gefahrenrisiko wie ein Unternehmen, welches auch Sprengarbeiten durchführt. Die Zuordnung kann im Einzelfall durchaus schwierig sein.

Will das Unternehmen eine fehlerhafte Veranlagung beseitigen, muss es die Änderung der Veranlagung gesondert beantragen. Eine Änderung mit Wirkung für die Vergangenheit ist allerdings nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen möglich (§ 160 Abs. 2 SGB VII). Denn das Gesetz lässt die Aufhebung eines Veranlagungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit nur zu, soweit

  1. die Veranlagung zu einer zu niedrigen Gefahrklasse geführt hat oder eine zu niedrige Gefahrklasse beibehalten worden ist, weil die Unternehmer ihren Mitteilungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen sind oder ihre Angaben in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig waren, oder
  2. die Veranlagung zu einer zu hohen Gefahrklasse von den Unternehmern nicht zu vertreten ist.

Die erste Alternative betrifft diejenigen Fälle, in denen das Unternehmen durch eine falsche Veranlagung begünstigt wurde bzw. die Veranlagung auf unzutreffenden Angaben des Unternehmens beruht. Die zweite Alternative betrifft Fälle, in denen die falsche Veranlagung nicht von dem Unternehmer zu vertreten ist. Das können Fälle sein, in denen die BG aus den zutreffenden Informationen des Unternehmers falsche Schlüsse zieht und eine falsche Einordnung vornimmt oder auch Fälle, in denen sich die Unternehmensart ändert und die BG im Zuge einer Betriebsbesichtigung diese Veränderung und deren Auswirkungen auf den Gefahrtarif nicht erkennt und von Amts keine Neuveranlagung vornimmt.

Liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor, wird ein Veranlagungsbescheid mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheides folgt, aufgehoben (§ 160 Abs. 3 SGB VII).

 

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.

Rechtsanwalt Peter Koch
Hohenzollernstraße 25
30161 Hannover
Tel.: 0511/27 900 182
Fax: 0511/27 900 183
www.rkb-recht.de
koch@rkb-recht.de