§ 35a SGB VIII – Eingliederungshilfe - Kein Zuständigkeitsstreit auf dem Rücken des Hilfesuchenden

Staat und Verwaltung
05.05.20112233 Mal gelesen
Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat in einem Urteil vom 19.03.2009 (3 A 63/08) zu der Frage Stellung genommen, welcher Kostenträger für die Hilfe zuständig ist, wenn bei dem hilfesuchenden Kind oder jungen Erwachsenen sowohl eine seelische als auch eine geistige Behinderung vorliegt.

In dem Verfahren ging es um eine junge Frau serbischer Staatsangehörigkeit, die infolge Vernachlässigung durch ihre Eltern wechselnd in Pflegefamilien und Heimen gelebt hatte. Die Hilfen wurden dauerhaft als Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII erbracht. Zuletzt war sie dauerhaft in einer vollstationären Wohngruppe eines Heimes der Rudolf-Steiner-Werke e.V. untergebracht. Nach Eintritt der Volljährigkeit wurden hierfür weiterhin Leistung der Jugendhilfe als Hilfe für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) in Form der Unterbringungskosten für die genannte Einrichtung beantragt. Der Jugendhilfeträger erkannte zwar die Notwendigkeit der Hilfe an, berief sich aber auf den sogenannten Nachrang der Jugendhilfe, da auch eine geistige Behinderung vorliege, für die insoweit der Träger der Sozialhilfe zuständig sei.

Dem trat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil entgegen.

Richtig sei zwar, dass das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 23.09.1999 (5 C 26.98) die bis heute gültigen Grundsätze aufgestellt habe, wonach die Abgrenzung der Zuständigkeiten nicht vom Schwerpunkt der Hilfe, sondern allein von der Art der beiden Hilfeleistungen abhänge. Die Regelung über Vor- und Nachrang setze nach dem BVerwG voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe bestehen und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind. Eine Heimerziehung nach Kinder- und Jugendhilferecht sei nach einem vom BVerwG gebildeten Beispiel nachrangig gegenüber einer Eingliederungshilfe wegen geistiger Behinderung nach Sozialhilferecht. Nach diesen Grundsätzen bestünde hier bei Annahme einer auch geistigen Behinderung ein Vorrang der Sozialhilfe. Das Bundesverwaltungsgericht habe in demselben Urteil aber auch klargestellt, dass ein solcher Vorrang auf der Ebene der Verpflichtungen zum Hilfebegehrenden keine Freistellung des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers und eine alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers zur Folge habe. Wurden Maßnahmen der Eingliederungshilfe noch nicht erbracht, bestehe ein Anspruch auf Jugendhilfe beispielsweise nach § 41 SGB VIII auch, wenn zusätzlich ein Hilfeanspruch wegen geistiger Behinderung nach (damals) § 39 BSHG gegeben sei. Ein Nachrang habe demnach keine Auswirkungen auf das Leistungsverhältnis zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Sozialleistungsträger. Darauf komme es in diesen Fällen erst für die Frage der Kostenerstattung zwischen Jugendhilfe- und Sozialhilfeträger an.

Die Hilfe für die Klägerin sei seit 01.06.2007 ununterbrochen als Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII erbracht worden. Sozialhilfe für geistig Behinderte nach 53 SGB XII sei bislang nicht gewährt worden, auch nicht, nachdem bereits im Januar und Februar 2007 eine geistige Behinderung nach der Untersuchung des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Landkreises S. festgestellt worden seien. Der Streit zweier Leistungsträger solle nicht auf dem Rücken des Hilfesuchenden ausgetragen werden. Käme im vorliegenden Fall der Vorrang des Sozialhilferechts zum Tragen, müsste die Klägerin die endgültige Kostenübernahme womöglich in einem weiteren Rechtsstreit mit dem Landkreis S. als örtlich und sachlich wohl zuständigem Sozialhilfeträger durchsetzen. Die Kostentragung sollen die Leistungsträger jedoch nach Beginn der Hilfe auch angesichts der Vorrangregelung wie § 10 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB VIII unter sich ausmachen. Dazu stehen die Vorschriften der §§ 102 ff. SGB X zur Verfügung. Der Beklagte Jugendhilfeträger sei daher auf seinen Erstattungsanspruch gegen den anderen Träger zu verweisen.

Verwaltungsgericht Braunschweig - Urteil vom 19.03.2009 - 3 A 63/08

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