§ 35a SGB VIII – Eingliederungshilfe – Vorbereitung ist das A und O

Arbeit Betrieb
22.04.20113303 Mal gelesen
Das Verfahren nach § 35a SGB VIII zählt mit zu den undurchsichtigsten Bereichen des Sozialrechts. Vielleicht gibt es gar kein anderes Rechtsgebiet, in dem mehr Anträge abgelehnt werden, obwohl ein Hilfebedarf des Kindes oder Jugendlichen klar auf der Hand liegt.

Woran liegt das? Die gesetzliche Bestimmung beginnt doch mit dem eindeutigen Satz "Kinder und Jugendliche haben einen ANSPRUCH, wenn ..."

1. Entscheidend ist das WENN:

  • Die seelische Gesundheit muss mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen, und
  • daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten sein.

Die Entscheidung über die Bewilligung einer Leistung verlangt somit nicht nur eine fundierte fachmedizinische Stellungnahme über das Vorliegen oder Drohen einer seelischen Behinderung, sondern zudem die Feststellung, dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder die Prognose, dass eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. An die Qualifikation des Arztes sowie an die Art des Gutachtens stellt das Gesetz hohe Anforderungen. Die gesetzlichen Hürden sind also hoch und bieten reichlich Spielraum für ablehnende Entscheidungen.

2. Es gibt einen sog. "Nachrang" der Jugendhilfe. Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch die Regelungen des Sozialgesetzbuches VIII nicht berührt (§ 10 Abs. 1 SGB VIII). Diesen Grundsatz nutzen Jugendämter gerne als Aufhänger, um auf die Zuständigkeit anderer Institutionen zu verweisen. An erste Stelle seien hier die Förderschulen genannt.

3. Finanzielle Aspekte: Leistungen der Eingliederungshilfe sind teuer. Allein die Kosten für einen Schulhelfer können je nach Umfang der Hilfe 20.000,00 EUR und mehr pro Jahr betragen. Die Kosten für eine stationäre Hilfe erreichen gut und gerne ein vielfaches. Da es sich auch nicht um Versicherungsleistungen handelt, werden die Kosten nicht durch Beiträge finanziert, sondern aus öffentlichen Mitteln. Dies erklärt u.a., weshalb sich Jugendämter oft sehr defensiv verhalten.

Was kann man tun?

Das wichtigste ist eine gute Vorbereitung. Anträge dürfen unter keinen Umständen ins blaue hinein gestellt werden. Es reicht nicht aus, dass ein behandelnder Arzt empfiehlt, eine Eingliederungshilfe zu beantragen, wenn er dies nicht auch fachlich fundiert und nachvollziehbar begründet. Vor jeder Antragstellung sind einige Vorarbeiten unabdingbar:

  • die gesundheitliche Klärung sollte man nicht dem Jugendamt allein überlassen. Zwar schreibt das Gesetz vor, dass es die Aufgabe des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ist, eine Stellungnahme eines Experten (an dessen Qualifikation das Gesetz hohe Anforderungen stellt) einzuholen. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass schon hier die ersten Weichen in die falsche Richtung gestellt werden können. Deshalb ist allen Betroffenen anzuraten, sich selbst um einen guten Arztbericht zu kümmern.
  • Ärzte sind aufzufordern, klar Position zu beziehen. Das Gesetz verlangt konkrete Aussagen. Deshalb müssen Ärzte sich eindeutig äußern und zwar sowohl zu der Frage, ob eine seelische Behinderung bereits besteht oder künftig droht, als auch zur Frage der Teilhabebeeinträchtigung. Die Entscheidung über das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung trifft zwar das Jugendamt in eigener Zuständigkeit. Wenn der Arzt diese Frage jedoch positiv und vor allem begründet (!) beantwortet hat, kann sich die Behörde nicht ohne weiteres darüber hinwegsetzen.
  • Ggf. eine Stellungnahme der Schule einholen, ob Bereitschaft zur integrativen Beschulung besteht.
  • Sich frühzeitig über die Rechtslage und alle denkbaren Fallstricke informieren.
  • Rechtsmittel einsetzen: Wenn das Jugendamt die Sache ungerechtfertigt hinauszögert obwohl die Sache eilbedüftig ist, weil ohne eine schnelle Hilfe Verschlimmerungen drohen, kann bei Gericht ein Eilantrag gestellt werden. Ein solcher Antrag hat aber nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Vorbereitung ausreichend war. Hat das Jugendamt drei Monate nach Antragstellung noch nicht entschieden, kann auch eine sog. Untätigkeitsklage erhoben werden.
 

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