Klage einer deutschen Mitarbeiterin vor deutschen Arbeitsgerichten gegen das türkische Generalkonsulat bzw. türkische Republik möglich?

Arbeit Betrieb
11.06.20111220 Mal gelesen
Unsere Kanzlei vertritt vor dem Arbeitsgericht Köln eine deutsche Mitarbeiterin (ebenso noch türkische Staatsbürgerin) des türkischen Konsulats in Köln. Die Parteien streiten sich um Arbeitslohn, bzw. vorab um die Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte im Allgemeinen.

Ein Fall des BUNDESARBEITSGERICHT (BAG Urt. vom 1.7.2010, 2 AZR 270/09) ist in diesem Fall von  Belang:

Die Parteien stritten sich u.a. über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Dabei stand im Vordergrund die Frage, ob die Beklagte Staatenimmunität genießt. Der Kläger war algerischer Herkunft. Die Beklagte war die Demokratische Volksrepublik Algerien. Sie beschäftigte den Kläger auf der Grundlage eines in französischer Sprache verfassten Arbeitsvertrags seit September 2002 als Kraftfahrer in ihrer Berliner Botschaft. Der Vertrag sah für Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten die Zuständigkeit der algerischen Gerichte vor und wies den Kläger der deutschen Sozialversicherung zu. Ende August 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2007. Der Kläger hatte die Kündigung für sozialwidrig gehalten. Als Kraftfahrer sei er nicht hoheitlich tätig geworden, weshalb die Beklagte auch als ausländischer Staat vor deutschen Gerichten verklagt werden könne. International zuständig seien die deutschen, nicht die algerischen Gerichte. Die anderslautende arbeitsvertragliche Vereinbarung stehe dem nicht entgegen. In der Sache sei der Fall nach deutschem Recht zu beurteilen.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Beklagte für den Streitfal Staatenimmunität genieße. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und im Wesentlichen nach den Klageanträgen erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für sie zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Die Revision war begründet. Sie führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Ob die Beklagte Staatenimmunität genoß, stand noch nicht fest . Gegebenenfalls sollte  das Landesarbeitsgericht auch die Fragen der internationalen Zuständigkeit und der Anwendbarkeit deutschen oder algerischen Rechts neu zu würdigen haben.

Nach § 20 II GVG erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit nicht auf Personen, die gemäß den al gemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Nach dem als Bundesrecht iSv. Art. 25 GG geltenden allgemeinen Völkergewohnheitsrecht sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit von einem Rechtsstreit betroffen ist. Ihre diplomatischen und konsularischen Beziehungen dürfen nicht behindert werden (VerfGE 117, 141; BAG 15. Februar 2005 - 9 AZR 116/04 - zu A I 2 a der Gründe mwN, BAGE 113, 327, 331; 23. November 2000 - 2 AZR 490/99 - zu II 3 b der Gründe, AP GVG § 20 Nr. 2 = EzA GVG § 20 Nr. 3). 

Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Staatstätigkeit richtet sich nicht nach deren Motiv oder Zweck. Maßgebend ist die Art der umstrittenen staatlichen Handlung oder des streitigen Rechtsverhältnisses (BVerfG 30. April 1963 - 2 BvM 1/62 - zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 16, 27, 61 f.; BAG 15. Februar 2005 - 9 AZR 116/04 - BAGE 113, 327). Mangels völkerrechtlicher Unterscheidungsmerkmale ist die Abgrenzung grundsätzlich nach dem Recht des entscheidenden Gerichts zu beurteilen (BVerfG 30. April 1963 - 2 BvM 1/62 - zu C II 3 der Gründe, BVerfGE 16, 27, 62; BAG 15. Februar 2005 - 9 AZR 116/04 - aaO).

Gesetzliche Regeln für die Einordnung als hoheitliches oder nichthoheitliches Handeln bestehen im Hinblick auf den Gegenstand arbeitsrechtlicher Streitigkeiten zwischen außereuropäischen Botschaften und ihrem Personal nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegen arbeitsrechtliche Bestandsstreitigkeiten zwischen Botschaftsangestellten und dem betreffendem Staat der deutschen Gerichtsbarkeit nicht, wenn der Arbeitnehmer für den anderen Staat hoheitlich tätig war.

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kann, wovon auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist, nach Art. 19 Nr. 1, Art. 18 Abs. 2 der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO -ABl. EG L 12 vom 16. Januar 2001 S. 1, ber. ABl. EG L 307 vom 24. November 2001 S. 28) begründet sein. Die EuGVVO ist seit ihrem Inkrafttreten am 1. März 2002 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU. Die Verordnung geht nationalem Recht im Rang vor. Soweit ihr nationale Bestimmungen widersprechen, werden sie durch die EuGVVO verdrängt (BAG 24. September 2009 - 8 AZR 306/08 - AP EuGVVO Art. 18 Nr. 1 = EzA EG-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4 mwN; vgl. Schack Internationales Zivilverfahrensrecht 5. Aufl. Rn. 218, 326). Sind  die Vorschriften der Art. 18 ff. EuGVVO anwendbar, so wird zu beachten sein, dass nach Art. 18 Abs. 2 EuGVVO ein Arbeitgeber, mit dem der Arbeitnehmer einen individuellen Arbeitsvertrag geschlossen hat und der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz hat (Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Drittstaat), so behandelt wird, als habe er einen Wohnsitz, vorausgesetzt, er unterhält in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung.

Die vom Landesarbeitsgericht bejahte Frage, ob als sonstige Niederlassung iSd. Art. 18 Abs. 2 EuGVVO auch die Botschaft eines Drittstaates angesehen werden kann, ist bisher von dem zur Auslegung der EuGVVO vorrangig zuständigen Gerichtshof der Europäischen Union nicht entschieden. Außerhalb des Geltungsbereichs der EuGVVO richtet sich die internationale Zuständigkeit nach den Regeln über die örtliche Zuständigkeit. Da die Beklagte keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, kann die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung der Zuständigkeit der algerischen Gerichte nach § 38 II ZPO  wirksam sein.

Nach Art. 27 I EGBGB unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss nicht ausdrücklich erfolgen. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen haben. Haben die Parteien aber algerisches Recht vereinbart, so ist noch zu prüfen, ob diese Rechtswahl gültig sein konnte ( Art 30 EGBGB). Hier wird ggfs. in Betracht zu ziehen sein, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht engere Verbindungen zum algerischen Staat als zu Deutschland aufweist. Die Anwendung deutschen Kündigungsrechts ergibt sich jedenfalls nicht aus  Art. 34 EGBGB.

Die Darlegungen zeigen, dass bei in der BRD eingereichten Klagen gegen ausländische Staaten (Konsulate), insbesondere außerhalb der EU, besondere Anforderungen zu beachten sind. Bei arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen allen voran, ob der Arbeitnehmer hoheitlich Aufgaben wahrnimmt oder nicht. Dies wird in unserem Fall das Arbeitsgericht zu beurteilen haben, Abgrenzungen sind im Einzelfall vorzunehmen.

Verfasser: Sagsöz

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