Anspruch und Wirklichkeit - Der traurige Alltag in der Verfahrenspflegschaft (KindPrax 2005, Seite 18 f.)

Familie und Ehescheidung
06.09.20062656 Mal gelesen


Von RA Alexander Heumann,  Fachanwalt für Familienrecht in Düsseldorf
(erschienen in: KindPrax 2005 (Heft 1), S. 18 f.)

Einer der bemerkenswertesten neuen, mit großen Hoffnungen verknüpften Errungenschaften der Kindschaftsrechtsreform war der sog. ´Anwalt des Kindes´[i] (§ 50 FGG). Nach der amtlichen Gesetzesbegründung sollte die neue Regelung die “selbständige Wahrnehmung” der Interessen von Kindern “ermöglichen”, wobei deren “Interessen in einer Weise in das Verfahren eingebracht werden (sollten), die ihrer grundrechtlichen Position hinreichend Rechnung trägt”. Und: Der Anwalt des Kindes “wird sich oftmals an dem Interesse des Kindes an einer schnellen und einvernehmlichen Konfliktlösung zu orientieren haben”.

Nun berichten drei Verfahrenspflegerinnen in einem gemeinsam herausgegeben Buch mit beeindruckenden konkreten ´Fallschilderungen´ aus ihrem Alltag in gerichtlichen Sorgerechts-, Umgangs- und Unterbringungsfällen, was in sechs Jahren familiengerichtlicher Praxis aus der neuen Institution geworden ist. Die Autorinnen verdeutlichen: Gerade in sehr ´verfahrenen´ Fällen kann der Verfahrenspfleger - fachliche Kompetenz, emphatische Fähigkeiten, Mut, Unabhängigkeit, Rückgrat und langer Atem allerdings vorausgesetzt - flexibler, zeitnäher und -zeitaufwändiger auf kindliche Bedürfnisse und Kindeswohlgefährdungen reagieren, als dies häufig überlasteten Jugendämtern oder Familienrichtern möglich ist. Erst hierdurch kann er eine Vertrauensbeziehung zu dem ihm anvertrauten Kind aufzubauen, die tiefere Einblicke in das kindliche Erleben überhaupt erst ermöglicht – Voraussetzung für das Erkennen oft aber. überraschender ´Lösungsmöglichkeiten´ im Interesse des Kindes. 

Besonders berührend die Fallschilderungen aus dem Bereich des Unterbringungsrechts, in dem die Autorinnen über ihre aktuellen betrüblichen Erfahrungen mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie berichten. Da ist die Rede von nicht richterlich genehmigten ´Isolations-Räumen´ - als ´Strafe´ für Kinder; von unverhältnismäßigen ´Fixierungen´ an Betten; von medikamentöser Ruhigstellung von Kindern. Statt Therapie einzusetzen, soll vor allem der Wille der Kinder gebrochen werden. Kein Rückblick ins letzte Jahrhundert, sondern wohl eines der letzten großen gesellschaftlichen Tabus (übrigens nicht nur im Kindschaftsrecht, auch bei Erwachsenen und alten Menschen).

Und die Kinder- und Jugendhilfe ? Bei dieser würden inhaltlich-fachliche Aspekte zunehmend von ökonomischen Erwägungen (und entsprechenden Dienstanweisungen an die Sachbearbeiter/Innen) in den Hintergrund gedrängt. Der Personalmangel der Justiz angesichts leerer Haushaltskassen der Länder ist schon lange kein Geheimnis mehr. Dieser sei u. a. auch durch unangemessene Methoden der Justizstatistik verursacht, bei der nur die durch eine gerichtliche Entscheidung oder Vergleich, nicht aber anderweitig erledigte Fälle (z.B. wenn ein Richter in einem von Amts wegen betriebenen Sorgerechtsverfahren n. § 1666 BGB erreicht, daß in die elterliche Sorge nicht eingegriffen werden muß) erfasst würden.

Obendrein herrscht größter Streit über die Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes “Wahrnehmung der Interessen des Kindes” (§ 50 I FGG). Das zugrundeliegende Gesetz ist – wie häufig bei politischen Kompromissen - an Verschwommenheit kaum zu überbieten. Was soll ein ´Anwalt des Kindes´ überhaupt und - vor allem: - was darf er ? Darf er zwischen den Beteiligten im Interesse einer einvernehmlichen Lösung vermitteln ? (Vergleichbares hierzu findet sich in dem bekannten Streit zwischen “lösungsorientierter” und “statusorientierter” Tätigkeit forensisch tätiger psychologischer Sachverständiger[i]); darf er eigenständige Sachverhaltsermittlung betreiben, etwa Lehrer und Nachbarn des Kindes befragen ? Bei zerstrittenen geschiedenen Eltern den Umgang zwischen Kind und abwesendem Elternteil begleiten oder schlicht bei der Übergabe des Kindes zugegen sein, um das Aufflammen destruktiver elterlicher Streitigkeiten im Interesse des Kindes zu verhindern ? Ist er überhaupt dem ´objektiven´ Kindeswohl (dem “wohlverstandenen” Kindesinteresse) verpflichtet ? Oder kommt ihm nur die Funktion eines “Sprachrohrs” (“Lautsprecher”) des spontan geäußerten kindlichen Willens zu ? Was, wenn dieser ´Wille´ als Ergebnis massiver elterlicher Manipulation (´PAS´) erkannt wird ? Außerdem: Wie weit reicht die Unabhängigkeit des Verfahrenspflegers vom Gericht, wenn er eine abweichende fachliche Auffassung vertritt ? Hat er ein eigenständiges Beschwerderecht gegen seine Entlassung durch das Gericht ?

Zu all diesen Problemkreisen findet sich in dem Buch eine ausführliche, hilfreiche Rechtsprechungsübersicht.

Fest steht jedenfalls: Gerade der fachlich hochqualifizierte, nach viel Fortbildung hauptberuflich als solcher tätige ´Anwalt des Kindes´ ist wirtschaftlich abhängig vom Gericht bzw. dem Richter, der ihn bestellt. So verzweifelten die Autorinnen letztlich an einer widersprüchlichen, regional höchst unterschiedlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zum Aufgabenbereich des Verfahrenspflegers, die sich vor allem in einer “katastrophalen, ruinösenVergütungspraxis” niederschlug - so das Resümee´ der Autorinnen. Sie sahen sich von den über ihre Vergütung entscheidenden RechtspflegerInnen beim Familiengericht z. T. “regelrecht schikaniert”. Selbst das auch noch im nachhinein als “hilfreich” Anerkannte wurde deshalb noch lange nicht als “erforderlich” und damit als vergütungsfähig angesehen. Über ihre Beschwerden entschieden z. T. dieselben Familiensenate, die die ´Anwältin des Kindes´ zuvor im Verfahren selbst “als störend empfunden” hatten. Letztere beurteilten die Tätigkeit des Verfahrenspflegers häufig zwar als “objektiv nützlich” - sie hätten nämlich durchaus “zur Konfliktbeilegung”, und damit zur Erledigung des Verfahrens “beigetragen” - jedoch nicht als vergütungsfähig.

Beispiel: OLG Dresden, Az. 20 WF 0653/01: Im Ergebnis wechselte das Kind seinen ständigen Aufenthalt von der Kindesmutter zum Kindesvater; die zuvor stattgefundenen Gespräche mit dem Kindesvater wurden nicht als vergütungsfähig angesehen.

Soweit überhaupt Vergütungen ausgekehrt wurden, musste hierauf im Durchschnitt über ein Jahr gewartet werden, z. T. bis zu zwei Jahren. Und wenn es dann soweit war, erfolgte teilweise unversehens die Aufrechnung der Staatskasse mit erheblichen Rückforderungsansprüchen. Z. T. wurde seitens der Staatskasse und deren Hüter sogar mit einer “Kostenhaftung der Kinder nach § 93a II Kostenordnung” argumentiert.

Zwar waren die Autorinnen auf Grund der immer restriktiver werdenden Vergütungsrechtsprechung der Oberlandesgerichte bald dazu übergegangen, sich einzelne Verfahrenspfleger-Tätigkeiten vorab vom Familiengericht genehmigen zu lassen. Aber selbst insoweit mussten die Autorinnen immer wieder Einschnitte in ihre Vergütung durch Oberlandesgerichte hinnehmen.[ii] Das OLG Dresden[iii]) drohte Familienrichterinnen I. Instanz angesichts deren abweichenden Auffassung sogar mit “Amtshaftung”, was sich bei dem Familiengericht dann auch schnell herumsprach und die Entwicklung rasch in eine dem Oberlandesgericht genehme Richtung drängte (S. 478).

Noch komplizierter wurde es mit der Vergütung in Fällen, in denen die Autorinnen zum Ergänzungspfleger[iv] (bei nur teilweisen Entzug der elterlichen Sorge) oder Vormund[v] (bei vollständigem Entzug der elterlichen Sorge) von Kindern bestellt wurden.[vi] Im Unterschied zum Vergütungsrecht der Betreuer von Erwachsenen kann der für ein Kind eingesetzte Ergänzungspfleger oder Vormund die in der Zeit vor Aushändigung der Bestallungsurkunde (§§ 1789, 1915 BGB) durch das Vormundschaftsgericht entfaltete Tätigkeit nicht abrechnen. Leider dauerte es manchmal bis zu einem Dreivierteljahr, bis er die Urkunde in Händen hat (S. 380). Vorher müsste er also für das ihm überantwortete Kind folglich ´pro bono´ tätig werden.

In gebotener Ausführlichkeit kommentieren die Autorinnen sodann eine aktuelle Entscheidung des BVerfG., das jüngst in einem insgesamt zehn Verfahren zusammenfassenden “Nichtannahme-Beschluss” vom 09.03.2004[vii] einen sehr restriktiven Standpunkt hinsichtlich Aufgabenbereich und Vergütung des Verfahrenspflegers vertreten hat. Nach Auffassung des BVerfG. “hat der Verfahrenspfleger nicht neben dem Richter das Wohl des Kindes zu  ergründen und dazu in Verfahren Stellung zu beziehen.”[viii]

Zu dem vergütungsrechtlichen Problem des Vertrauensschutzes merkte das BVerfG. an: “Nicht zu entscheiden ist hier die Frage, ob andererseits bei ausdrücklicher Veranlassung bestimmter Tätigkeiten durch das Gericht Art. 12 Abs. 1 GG oder der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz für daraufhin erbrachte Leistungen stets einen Vergütungsanspruch des Verfahrenspflegers begründen.”[ix]

Die Autorinnen plädieren überzeugend für eine extensivere Auslegung ihres Tätigkeitsbereiches und wollen ihr Anliegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg weiterverfolgen. Der Verfahrenspfleger müsse sowohl das subjektive, explizit artikulierte als auch das objektive, wohlverstandene Interesse des Kindes vertreten (dürfen). Der primäre Wunsch fast aller von kindschaftsrechtlichen Verfahren betroffenen Kinder richte sich auf eine einvernehmliche, friedliche Lösung, die “kein Elternteil traurig zurück lässt”. Der Verfahrenspfleger müsse daher im Interesse der von ihm vertretenen Kinder auch außerhalb des Gerichtssaals (vergütungsfähig) zwischen Parteien und Trägern der Jugendhilfe vermitteln dürfen. Er hätte bessere tatsächliche Möglichkeiten, Kapazitäten und Ressourcen sowohl für Vermittlung als auch eigene Sachverhaltsermittlung als Jugendamt und Familiengericht, last but not least auch für die oft am Wochenende erforderliche Begleitung von Umgangskontakten in hochstrittigen sorge- und umgangsrechtlichen Verfahren. Die ausführlichen, z. T. ergreifenden Fallschilderungen der Autorinnen belegen diese Auffassung besser als abstrakte Argumentation dies je vermochte.

Sie gelangen zu dem betrüblichen Resümee, dass der ´Anwalt des Kindes´ “in Deutschland nicht tatsächlich gewollt” ist, sondern nur Feigenblattfunktion hat. Kindern könne allenfalls dann geholfen werden, wenn sie “das richtige Problem zur richtigen Zeit am richtigen Ort” hätten.

Der Gesetzgeber wird dringlich zu Klarstellung im Rahmen der anstehenden Reform des FGG aufgerufen.[x] Kernstück jedweder Novellierungsbestrebungen sollten genaue Aufgabenbestimmung des Verfahrenspflegers, und konkrete Normen zu Bestellpraxis und Qualifikation des Verfahrenspflegers sein. Die Unabhängigkeit von Verbänden solle hingegen erhalten bleiben.

Die Familie wird als "Symptomträger gesellschaftlicher Entwicklungen" verstanden.

Dem allgegenwärtigen Konzept der ´professionellen Distanz´ wird ein “Konzept der professionellen Nähe" gegenübergestellt (S. 510), Zitat: “Die Besonderheit dieses Herangehens liegt in der Investition von Energie und Kraft der Helfenden begründet, die ein tiefgründiges Einlassen und Eingehen auf - genauso wie das ´Sich wieder herausnehmen können´ aus - menschlichen Schicksalen erfordert. Wir nehmen es zunehmend als Fehlhaltung helfender Berufe wahr, sich zu distanzieren und dies mit vermeintlich ´professionellem´ Handeln zu begründen. Dabei ist sogar eine Verschiebung oder Projektion dahingehend festzustellen, dass andere Handlungskonzepte, zum Großteil sogar erfolgreich, als pathologisch hingestellt werden. Vielleicht geschieht dies aus Gründen des Selbstschutzes und der Bequemlichkeit. Vor allem aber geht es mit einem Mangel an Liebe zur Arbeit und tatsächlichem Interesse einher. Viele negativen Phänomene unserer Zeit wären im Keim erstickt, wenn die Arbeit nicht nur als ein ´Dienst nach Vorschrift´ verstanden würde. Diese Situation ist unserer Meinung nach genauso fatal wie die der ´hilflosen Helfer´”.

Bei den “Ursachen dieses Phänomens” handele es sich um ein “weiteres ´weites Feld´”.

Fazit: Eine Lücke in der kindschaftsrechtlichen Fachliteratur wurde geschlossen, emotional und dennoch klug reflektierend geschrieben. Ein selten geglückter Spagat zwischen Vermittlung emotionaler Betroffenheit und seriöser Darstellung eines familienpolitischen Anliegens. Nicht zuletzt ein allgemeinverständliches Plädoyer für mehr Menschlichkeit, insbesondere im Umgang mit Kindern. Dem Buch kann man nur größte Resonanz in Fachliteratur und Öffentlichkeit wünschen. Es gehört auf den Tisch eines jeden Familienrichters und - politikers. 

[i] Bergmann/ Jopt / Rexilius (Hrsg.), Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht, Bundesanzeiger Verlag 2002

[ii] so z.B. Kammergericht, Kindprax 2004, 66 mit Anm. Menne (a. A. OLG Stuttgart FamRZ 2004, 1126; s. hierzu auch Menne, KindPrax 2004, 69; Willutzki, KindPrax 2004, 83)

[iii] OLG Dresden, Beschluß v. 06.11.2003 (Az. 20 WF 653/01)

[iv] §§ 1909, 1915, 1779, 1697 BGB

[v] §§ 1773, 1791 b, 1779 II BGB

[vi] Während über die Vergütung von Verfahrenspflegern der Rechtspfleger beim Familiengericht entscheidet, entscheidet über die Vergütung von Ergänzungspflegern und Vormündern der Rechtspfleger beim Vormundschaftsgericht (S. 380)

[vii] BVerfG. Kindprax 2004, 186 f., mit Anm. Menne S. 181 f.

[viii] BVerfG., Kindprax 2004, 186, 189 (unter II. 2. b (2) (cc) (aaa) der Gründe). 6 Jahre zuvor hatte das BVerfG in seiner grundlegenden Entscheidung v. 29.10.98 (BVerfG FamRZ 1999,85) dem Verfahrenspfleger immerhin noch – zumindest implizit - das Recht zu eigenen, vom Richter unabhängigen “Ermittlungen” zugebilligt, so zurecht die Interpretation Willutzkis in KindPrax 2004, 83 f. (88). Überholt ?

[ix] BVerfG. a.a.O. (unter II. 2. b, bb (2) (b) (bb) der Gründe). Entgegen Menne in dessen Anm. (KindPrax 04, 181 f.) weist das Gericht also - leider - gerade nicht “eindeutig darauf hin, dass Tätigkeiten, die auf Grund ausdrücklicher, gerichtlicher Veranlassung erbracht wurden, in jedem Fall zu vergüten sind”. Vielmehr lässt das Gericht die Frage dahingestellt, da sie in casu nicht entscheidungsrelevant war. Fraglich daher, ob andersgerichteter Rechtsprechung nunmehr wirklich “die Grundlage entzogen” ist.

[x] so auch Willutzki KindPrax 2004, 83, 89

   

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